Die EG-Konformitätserklärung gemäß EG-Maschinenrichtlinie schließt ab mit „Angaben zur Person, die zur Ausstellung dieser Erklärung im Namen des Herstellers bevollmächtigt ist“ und der „Unterschrift dieser Person“. Immer wieder wird gesagt, wer die Konformitätserklärung unterzeichnet, der haftet auch im Falle eines Unfalls mit dem entsprechenden Produkt. Das ist unzutreffend, obwohl dieses Dokument dem Käufer übergeben wird (dazu I.). Persönlich gehaftet wird nur für Pflichtverletzungen, die einen Produktfehler und den Unfall verursachen (dazu II.). Deshalb kann die Freigabe eines Produkts durch einen Entwicklungsleiter haftungsauslösend sein, obwohl dieses Dokument im Gegensatz zur EG-Konformitätserklärung das Unternehmen nicht einmal verlässt (dazu III.).
Aus drei Gründen ist eine Unterschrift der EG-Konformitätserklärung im Bereich der Produktsicherheit allein kein Haftungsgrund:
Den zweiten Grund betont die EG-Maschinenrichtlinie ausdrücklich, indem sie von einer „Erklärung im Namen des Herstellers“ spricht. Anhang III des Beschluss Nr. 768/2008/EG vom 9. Juli 2008 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten und im Anschluss daran zahlreiche Richtlinien (wie Anhang IV der EU-Niederspannungsrichtlinie 2014/35) betont: „Die alleinige Verantwortung für die Ausstellung dieser Konformitätserklärung trägt der Hersteller“. Was hier zur Haftungsrelevanz von Unterschriften gesagt wird, gilt also für alle Harmonisierungsrichtlinien.
Daraus folgt der dritte Grund: Man bescheinigt mit der Unterschrift nicht als Mitarbeiter xy persönlich die Produktkonformität, sondern das tut man für und „im Namen“ des Herstellers (der aber leider als juristische Person keine Hand hat und deshalb nicht unterschreiben kann). Auch das stellt der europäische Produkt-Beschluss klar, wenn es heißt: „Unterzeichnet für und im Namen von …“. So sagt auch die Europäische Kommission1: „Tagtäglich werden von Angestellten in Vertretung ihres Betriebes Dokumente unterzeichnet (z.B. Schecks in Vertretung des Buchhalters), ohne dass diese dadurch persönlich haftbar wären. Die Übertragung der Zeichnungsbefugnis bedeutet keine generelle Übertragung der Haftung für die Anwendung der Richtlinie“ – und ergänzt: „Wichtig ist vor allem, genau zwischen der rechtlichen Haftung des Unterzeichners der Konformitätserklärung und der rechtlichen Haftung aufgrund der Einhaltung der Maschinenrichtlinie sowie generell der zivil- und strafrechtlichen Haftung in Verbindung mit der Maschine zu unterscheiden“. Noch deutlicher könnte und sollte man die Unterscheidung so betonen: es gibt keine Haftung des Unterzeichners allein aus der Unterschrift, also aus reinen Formalitäten, sondern nur eine Verantwortung für die Einhaltung der materiellen Sicherheitsanforderungen – also insbesondere des Anhangs I der EG-Maschinenrichtlinie.
Das OLG Frankfurt hat einmal den Geschäftsführer eines Bauunternehmens nicht persönlich verantwortlich gesehen, obwohl er schriftlich den ordnungsgemäßen Aufbau eines Baugerüsts bestätigt hatte, denn daraus ist „eine Beteiligung des Geschäftsführers nicht ableitbar, da dieses Schreiben dem Unternehmen zuzurechnen ist“, denn er „hat dieses Schreiben in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Gesellschaft verfasst“2.
Bestätigt wird die fehlende Haftungsbedeutung letztlich mit der Äußerung der EU-Kommission, dass die Unterschrift handschriftlich vorgenommen werden oder eine gedruckte digitale Unterschrift sein kann3. „Die Unterschrift kann gedruckt auf der Erklärung widergegeben werden“4. Wenn das gebilligt wird, ist auch bestätigt, dass den Unterzeichnenden – bzw. denjenigen, dessen Unterschrift als Druckvorlage verwendet wird – keine auf die konkrete Maschine bezogenen Sicherheits- oder Prüfungspflichten allein wegen dieser Nennung in der EG-Konformitätserklärung treffen.
Außerdem: Kaufleute – und damit etwa auch alle juristischen Personen wie GmbH und AG – können auch mit ihrer Firma unterzeichnen5, denn § 17 Abs. 1 Handelsgesetzbuch (HGB) sagt: „Die Firma eines Kaufmanns ist der Name, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt“. Nun fordert die Maschinenrichtlinie zwar „Angaben zur Person, die zur Ausstellung dieser Erklärung im Namen des Herstellers bevollmächtigt ist“ und eine „Unterschrift dieser Person“, aber die Konformitätserklärung ist und bleibt eine des Unternehmens als Produkthersteller und nicht des Unterzeichners.
Die EG-Kommission sagt auch, „es ist wünschenswert, dass die natürliche Person, die sich vor Gericht für eine nichtkonforme Maschine zu verantworten hat, mit dem Unterzeichner der EG-Konformitätserklärung identisch ist“6. Aber wer hat denn nun die Sicherheit der Maschine zu verantworten und kann und muss dann insoweit haften – wie ist (um die Worte der Kommission noch einmal aufzugreifen) die „rechtliche Haftung aufgrund der Einhaltung der Maschinenrichtlinie sowie generell die zivil- und strafrechtliche Haftung in Verbindung mit der Maschine“?
1EG-Kommission, Anwender-Leitfaden Maschinenrichtlinie 1998, Rn. 763.2 Siehe Urteilsbesprechung 28 in Wilrich, Bausicherheit – Arbeitsschutz, Baustellenverordnung, Koordination, Bauüberwachung, Verkehrssicherungspflichten und Haftung der Baubeteiligten (2020).3EU-Kommission, Leitfaden Maschinenrichtlinie 2006, 2. Aufl. 2017, § 383 Nr. 10.4EG-Kommission, Anwender-Leitfaden Maschinenrichtlinie 1998, Rn. 765.5Preis, in. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, § 127 BGB Rn. 17; Einsele, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 126 Rn. 16.6EG-Kommission, Anwender-Leitfaden Maschinenrichtlinie 1998, Rn. 763.
Unternehmensmitarbeiter – vom Geschäftsführer über Entwicklungs- und Konstruktionsleiter bis zum „einfachen“ Konstrukteur – haben „nur“ Verantwortung für die Einhaltung der materiellen Sicherheitsanforderungen“ der EG-Maschinenrichtlinie im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse. Was heißt hier “nur“? Das ist eine große Verantwortung. Aber es gibt eben keine Haftung allein aus der Unterschrift. Es muss zwar auch betont werden, dass eine Unterschrift unter der EG-Konformitätserklärung eines unfallauslösenden Produkts ein (starkes) Indiz für die (Mit-)Verantwortung des Unterzeichners sein kann – man kann dann als individuell Verantwortlicher „im Visier“ stehen. Aber eine gerichtliche Verurteilung eines Unternehmensmitarbeiters – und eben auch des Unterzeichners – kann es nur geben, wenn dieser konkreten Person ein konkreter Fehler im Produktentstehungsprozesses nachgewiesen werden kann und dieser Fehler erkennbar und vermeidbar – also fahrlässig – den Unfall verursacht hat. Das sind nicht wenige und nicht immer einfach zu begründende Haftungsvoraussetzungen . Bei Leitungspersonal kommt es vor allen Dingen auf Befugnisse und Zuständigkeiten und damit Einflussnahme-Möglichkeiten an: „Verantwortung ist spiegelbildliches Gegengewicht zum Einflussrecht“8. Es gilt eins-zu-eins auch im „harten Recht“, was Reinhard Sprenger für Managemententscheidungen sagt: „Denn die Freiheit, entscheiden zu können, beinhaltet auch den Zwang, entscheiden zu müssen“. Das Können ist die Befugnis, das Müssen ist die Pflicht9.
So sagte etwa die Staatsanwaltschaft zu vier Führungskräften des Herstellers des Lüfters, der in Österreich in Kaprun am Kitzsteinhorn einen verheerenden Brand in der Gletscherbahn verursachte: „Angesichts des arbeitsteilig organisierten Produktions- und Vertriebsprozesses ist es fraglich, ob die Geschäftsführer aufgrund ihrer Stellung in der Firma überhaupt für die erhobenen Vorwürfe verantwortlich sein konnten, da der Einzelne nur für die Verletzung einer gerade ihm obliegenden Sorgfaltspflicht zur Verantwortung gezogen werden kann“. Wenn Juristen etwas für „fraglich“ halten, verneinen sie es tendenziell. Es ging im Lüfter-Fall um einen „Mitarbeiter im Labor, der den Schriftverkehr mit dem VDE zur Vorbereitung der VDE-GS-Prüfung führte“, einen „Prokuristen im kaufmännischen Bereich“, den kaufmännischen und den technischen Geschäftsführer.
Nun wird zwar häufig gesagt, Geschäftsführer können gegenüber Dritten haften („Außenhaftung“) bei einem „eigenhändigen Delikt“10. Aber damit ist nicht eine eigenhändige Unterschrift gemeint, sondern die eigenhändige Beeinflussung sicherheitsrelevanter Prozesse – oder auch die pflichtwidrige Unterlassung von Organisations- oder Aufsichtspflichten. Nur ein solches das Produkt – und nicht nur Formalitäten – beeinflussendes Handeln ist bei einer fahrlässigen Pflichtverletzung ein „Delikt“.
7 Zur Parallele aus Betreibersicht siehe Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht – Haftung für fahrlässige Arbeitsunfälle: Sicherheitsverantwortung, Sorgfaltspflichten und Schuld – mit 33 Gerichtsurteilen (2020).8 Jung/Bruck/Quarg, Allgemeine Managementlehre, 5. Aufl. 2013.9 Ausführlich zum Schlüsselbegriff „Befugnisse“ auch Wilrich, Arbeitsschutzverantwortung für Sicherheitsbeauftragte – Bestellung, Rechtsstellung, Pflichten und Haftung als Vertrauenspersonen und Beschäftigte – Grundwissen Arbeitssicherheit, Führungspflichten und Unternehmensorganisation (2021).10 Wellhöfer/Peltzer/Müller, Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer, 2008, § 3 Rn. 21, S. 67.
Ein mögliche (Mit-)Ursache eines Unfalls kann die Freigabe eines unsicheren Produkts durch einen Abteilungsleiter sein. So verurteilte das Landgericht München einmal den Leiter der Abteilung „Reifentechnische Entwicklung“ – nicht ein einfacher Konstrukteur, wie es aber in einem Presseartikel suggeriert wurde11. Er hatte die unfallverursachenden Reifen freigegeben. Diese Freigabe war also haftungslösend (und er wurde zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt).
Aber folgende Differenzierung ist wichtig: haftungsauslösend war der Freigabeprozess und nicht das „Dokument Freigabeschein“. Diese unterzeichnete Freigabeerklärung mag die Beweisbarkeit erleichtern, aber haftungsauslösend ist die Freigabe ohne ausreichende Prüfung bzw. ohne ausreichende Gewissheit der ausreichenden Sicherheit – wobei es natürlich eine sehr schwierige, abstrakte und generell nicht zu beantwortende Frage ist, wie tief der Entwicklungsleiter in die Produktionsprozesse einsteigen muss, um seiner Leitungsfunktion? und damit -pflicht gerecht zu werden. In anderen Worten: Verantwortlich wäre der Entwicklungsleiter auch für eine nur mündlich erteilte Freigabe, denn (siehe I.): die Unterschrift ist nicht das entscheidende Haftungsmerkmal.
11 LG München II, Urteil v. 21.04.1978 (Az. IV Kls 58 Js 5534/76); Bericht „Autoreifen – Die Biester“ in der Zeitschrift „Der Spiegel“ Nr. 38/1976, S. 94.
„Grau is' im Leben alle Theorie – aber entscheidend is' auf’m Platz“. Diese Fußballweisheit von Adi Preißler gilt nicht nur auf dem Rasen, sondern auch in Unternehmen: Mit dem (formalen) Akt der Unterschrift unter eine Konformitätserklärung ergibt sich für Unterzeichner zwar eine gefühlte (und „graue“) Haftungsexposition. Entscheidend sind aber die Sicherheitsverantwortung für produktbezogene Prozesse und die aus Verantwortung folgenden Pflichten, die alle Beteiligten – also sowohl Unterzeichner wie auch alle anderen am Produktentstehungsprozess beteiligten Personen – haben („entscheidend is‘ auf’m Arbeitsplatz“). Haftung ist die Folge von Pflichtverletzungen aber „nur“ dann, wenn weitere Voraussetzungen (z.B. Kausalität und Verschulden) erfüllt sind. Zu den allgemeinen Fragen der Verantwortung und Haftung verweisen wir auf diese beiden Beiträge:
Verfasst am: 08.02.2021
Prof. Dr. Thomas Wilrich Tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkthaftung, Arbeitsschutz und Warenvertrieb einschließlich der entsprechenden Betriebsorganisation, Vertragsgestaltung, Schadensersatz- und Führungskräftehaftung, Versicherungsfragen und Strafverteidigung. Er ist an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule München zuständig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik- und Unternehmensorganisationsrecht sowie „Recht für Ingenieure“.
E-Mail: info@rechtsanwalt-wilrich.de | www.rechtsanwalt-wilrich.de
Johannes Windeler-Frick, MSc ETH Geschäftsführer der IBF Solutions. Fachreferent CE-Kennzeichnung und Safexpert. Vorträge, Podcasts und Publikationen zu unterschiedlichen CE-Themen, insbesondere CE-Organisation und effizientes CE-Management. Leitung der Weiterentwicklung des Softwaresystems Safexpert. Studium der Elektrotechnik an der ETH Zürich (MSc) im Schwerpunkt Energietechnik sowie Vertiefung im Bereich von Werkzeugmaschinen.
E-Mail: johannes.windeler-frick@ibf-solutions.com | www.ibf-solutions.com
Raymond Puppan Ehem. Abteilungsleiter CE Consulting, Fachreferent CE-Kennzeichnung und Safexpert.
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