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Das Thema Produktrückrufe ist für Unternehmen von entscheidender Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf potenzielle Risiken und Kosten. Hersteller sollten auf klare interne Prozesse und eine sorgfältige Kommunikation achten, um Fehler zu vermeiden und Reputationsverluste zu begrenzen. Im Interview mit IBF verdeutlicht Rechtsanwalt Dr. Carsten Schucht von der Produktkanzlei, dass eine gründliche Vorbereitung und ein effizientes Rückrufmanagement entscheidend sind, um die Auswirkungen zu minimieren.
Herr Dr. Schucht, Rückrufe sind so ziemlich für jedes Unternehmen ein Worst-Case-Szenario. Sind die Sorgen berechtigt?
Dr. Carsten Schucht: Ja, solche Sorgen sind erfahrungsgemäß jedenfalls nicht unberechtigt: Behördlich angeordnete oder „freiwillige“ Rückrufe stellen fraglos eine Eskalationsstufe dar, die nicht mehr viel Platz für weitere Maßnahmen lässt. Gleichwohl führt eben nicht jeder sicherheitsrelevante Mangel unmittelbar zu einem Rückruf. Gerade im B2B-Maschinensektor genügt (jedenfalls in Deutschland) typischerweise eine Sicherheitswarnung. Und selbst wenn es zu einem Rückruf kommt, müssen die Kosten erstens nicht stets ins Unermessliche gehen. Entscheidend sind jeweils die konkreten Umstände des Einzelfalls, d.h. insbesondere die Anzahl der betroffenen Produkte, die Vertriebsregionen, die Rückverfolgbarkeit oder die Kosten der Austausch- bzw. Reparaturaktion. Zweitens kann ein Regress bei einem Zulieferer in Betracht kommen, wenn die Aktion auf ein defektes Zulieferteil zurückzuführen ist. Und drittens kann vielleicht eine Rückrufkostenversicherung vorhanden sein, die just für diese Kosten aufkommt.
Gleichwohl tut jeder Wirtschaftsakteur bzw. Hersteller gut daran, sich intensiv auf einen Rückruf oder eine Sicherheitswarnung vorzubereiten. Wer diese Aufgabe ernst nimmt und sich etwa mit dem Thema der Rückverfolgbarkeit auseinandersetzt, kann die Kosten im Rückruffall ggf. signifikant senken.
Welche Maßnahmen sollten Unternehmen, insbesondere Hersteller, treffen?
Dr. Carsten Schucht: Wichtig ist tatsächlich eine vernünftige Vorbereitung auf den „Worst Case“. Gemeint ist damit ein Rückruf- bzw. Produktkrisenmanagement. Vielfach gibt es bereits öffentlich-rechtliche Pflichten, just diese Vorsorge zu treffen. Dies gilt etwa bei allen Verbraucherprodukten. Auch ohne gesetzliche Pflichten tut jeder Hersteller (gerade im insoweit ungeregelten B2B-Bereich) gut daran, sich um entsprechende Prozesse zu kümmern. Dies gebietet nicht zuletzt schon die zivilrechtliche Produzentenhaftung. Auch wenn ein solches Management derzeit nicht als eigene Verkehrspflicht ausbuchstabiert wird, ist es richtigerweise elementarer Bestandteil der Gefahrabwendungspflicht ist. Oder anders ausgedrückt: Die effektive Gefahrabwendung kann ohne Weiteres darunter leiden, dass in concreto ein maßgeschneidertes Rückrufmanagement fehlt. Dieses Fehlen kann dann wiederum im „Worst Case“ zur zivilrechtlichen Haftung führen.
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Sie hatten vorher erwähnt, dass es auch noch andere Eskalationsstufen gibt, welche sind das?
Dr. Carsten Schucht: Ja, solche Stufen gibt es tatsächlich. Wenn der Rückruf am Ende der Eskalation steht, gibt es davor andere Maßnahmen, die von den handelnden Unternehmen typischerweise als weniger gravierend angesehen werden. Dies ist beim Agieren im Feld namentlich die bloße (Sicherheits-)Warnung, die etwa auf eine Außerbetriebsetzung oder Stilllegung des inkriminierten Produkts gerichtet ist. Gibt es in diesem Fall keine kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche mehr, erschöpfen sich die Kosten – platt ausgedrückt – nicht selten im Versand von Einschreiben und den damit einhergehenden Portokosten.
Und dann gibt es natürlich vielfach Szenarien, wo das Produkt zwar zu beanstanden ist, weil es nicht die gewünschte bzw. juristisch erforderliche Sicherheit aufweist, eine Feldaktion aber juristisch gar nicht geboten ist, weil die Produktgefahren eben nicht allzu gravierend sind. Dann kann es auch bei einem Vertriebsstopp sein Bewenden haben, das in so einem Fall dann typischerweise von einer Produktverbesserung flankiert wird, damit die betroffenen Produkte in Zukunft die erforderliche Sicherheit aufweisen.
Maßnahmen kann man ja nur treffen, wenn festgestellt wird, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wie können Unternehmen wissen, ob sie etwas tun müssen?
Dr. Carsten Schucht: Das ist richtig. Letztlich ist all das, worüber wir gerade sprechen, nichts anderes als eine Herausforderung an die unternehmensinterne Organisation. Konkret sollten interne Prozesse existieren, welche genau diese Frage abdecken, d.h. die sich mit dem Thema der Risikoabschätzung im Anschluss an die Produktbeobachtung befassen. Tatsächlich ist diese Thematik im Krisenfall nicht selten alles andere als trivial, insbesondere wenn die (technische) Sachlage nicht eindeutig ist. In diesen juristisch heiklen Fällen zwischen den klar zu bestimmenden Polen kommt es erfahrungsgemäß stets auf alle Umstände des Einzelfalls an, wenn es darum geht, eine maßgeschneiderte Antwort auf den ja sicherheitsrelevanten Vorgang zu erarbeiten. Und das ist natürlich auch der Grund, warum sich Unternehmen bei dieser Frage gerne und oft von externen (technischen und/oder juristischen) Spezialisten helfen lassen. Dabei muss klar sein, dass die Frage nach einer Handlungspflicht im Feld eine genuin juristische Thematik ist und daher auch juristisch zu beantworten ist.
Welche Schritte sollten Unternehmen, wenn sie feststellen, dass ein Produktmangel vorliegt, der einen Rückruf erforderlich macht?
Dr. Carsten Schucht: Wenn die Erforderlichkeit des Rückrufs feststeht, geht es darum, möglichst rasch in die Umsetzungsplanung einzusteigen. Bestenfalls werden die insoweit erforderlichen Planungen schon während der Risikoabschätzung, also parallel dazu in Angriff genommen, insbesondere wenn sich abzeichnet, dass der Vorgang voraussichtlich auf eine Feldaktion hinauslaufen wird. Wer für diese Fälle ein gutes Rückrufmanagement implementiert hat, wird weniger Arbeit haben, weil er weiß, was nun zu tun ist. Wichtig ist in diesem Fall insbesondere die behördliche Meldung bzw. Notifikation. Zu diesem Zweck sollte bekannt sein, welche Behörden auf welchem Wege und wann zu informieren sind. Darüber hinaus helfen Kontakte zu Kanzleien in den jeweiligen Vertriebsregionen, die sich um das (flankierende) Handling der Aktion in der jeweiligen Region kümmern. Typischerweise wird diese Arbeit freilich von jener (Heimat-)Kanzlei koordiniert, die (hoffentlich) frühzeitig für die juristische Beratung des Sachverhalts hinzugezogen wurde. Und nicht zuletzt muss der Roll-out der konkreten Feldaktion mit Hochdruck vorangetrieben, ja zeitnah gestartet werden.
Rückrufe sind häufig auch mit Reputationsverlusten verbunden. Wie sollten Unternehmen während Maßnahmen wie Nachbesserungen oder Rückrufen kommunizieren?
Dr. Carsten Schucht: In der Tat ist das die hohe Kunst im Produktkrisenfall: Über ein schlechtes, weil die Sicherheit gefährdendes Produkt muss möglichst gut gesprochen werden. Kommunikativ ist das schon deshalb eine Herausforderung, weil es natürlich juristische Leitlinien für die Kommunikation im Gefahrenfall gibt. So muss etwa das bestehende Risiko ebenso benannt werden wie potenzielle Verletzungsfolgen klar kommuniziert werden müssen. Die Erfahrung zeigt, dass eine offene, ehrliche, ja authentische Kommunikation oftmals zielführend ist, wenn und soweit sie juristisch „aufgeladen“ wird.
Gibt es auch rechtliche Risiken in der Kommunikation?
Dr. Carsten Schucht: Ja klar, denn die Kommunikation im Krisenfall ist ja nichts anderes als das Eingeständnis, dass das eigene Produkt fehler- bzw. mangelhaft ist. Praxisrelevant sind im Vorfeld einer nach außen gerichteten Kommunikation etwa vorschnelle Schuldeingeständnisse des jeweiligen Key Account Managers eines das gefährliche Produkt herstellenden Zulieferers beim betroffenen (Haupt-)Kunden.
Was sind iIrer Erfahrung nach die größten Fehler, die Unternehmen in Bezug auf Nachbesserungen und Rückrufe machen?
Dr. Carsten Schucht: Der größte Fehler liegt sicher darin, zu glauben, solche Krisen ohne jegliche Prozesse und Vorbereitungsmaßnahmen durchzustehen. Das Gegenteil ist erfahrungsgemäß der Fall: Rein auf Improvisation beruhende Aktivitäten in einer hektischen Situation führen leider zu oft zu ebenso vermeidbaren wie teuren Fehlern. Man sollte sich daher stets vor Augen führen, dass auch die Feuerwehr nicht erst dann probt, wenn es brennt!
Was sollten Unternehmen tun, um zukünftige Produktfehler und somit ggf. Rückrufe zu vermeiden?
Dr. Carsten Schucht: Eine 100-prozentige Sicherheit wird es leider nie geben, zumal wir in einer schnelllebigen Zeit mit einer zunehmenden Fehleranfälligkeit und kaum überschaubaren Lieferketten leben. Dass inzwischen vermehrt noch Themen wie Produktsabotage oder Cyberangriffe dazukommen, macht das Leben für die Wirtschaftsakteure nicht eben leichter. Was immer hilft, um an die vorherige Frage anzuknüpfen, sind die „Basics“, d.h. insbesondere vorhandene Prozesse gerade in der Produktentwicklung, eine belastbare Qualitätssicherung, ein vernünftiges Rechts- und Normenmanagement und ja, auch die Auswahl der „richtigen“ Lieferanten.
Aktuell kommen sehr viele neue EU-Regulatorien (etwa die EU-Maschinenverordnung, EU-Produktsicherheitsverordnung oder die EU-Ökodesign-Verordnung) heraus. Führt das in Zukunft zu mehr Produktrückrufen?
Dr. Carsten Schucht: So pauschal lässt sich das nicht beantworten. Bei nicht-sicherheitsrelevanten EU-Rechtsakten wie dem Ökodesignrecht wird es sich allerdings nicht negativ auswirken. Beim neuen Maschinenrecht oder dem neuen Recht der Verbraucherprodukte in der EU-Produktsicherheitsverordnung dürfte es sich an sich auch nicht bemerkbar machen, weil die betreffenden Produkte ja schon seit langer Zeit sicher sein müssen. Von daher wird der regulative Maßstab nicht verschärft, auch wenn er im Detail natürlich stärker ausbuchstabiert bzw. konkretisiert wird. Dies kann allerdings für die betroffenen Akteure auch eine Hilfestellung sein.
Schließlich wird auch die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie nicht zu mehr Rückrufen führen. Ja, sie bringt aufgrund ihrer nach wie vor deutlich erkennbaren verbraucherschützenden Stoßrichtung diverse Verschärfungen für die Wirtschaft mit sich. Aber nein, sie regelt weiterhin nicht die Gefahrabwendung im Feld, d.h. nach dem Inverkehrbringen. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass der Hersteller zukünftig auch dann für die Fehlerhaftigkeit eines Produkts nach dem Inverkehrbringen haften kann, wenn er die Kontrolle darüber behält. Relevant wird dies etwa bei Software-Updates oder -Upgrades.
Vielen Dank für das Interview!
Hinweis: Das ebenfalls sehr spannende Thema Produktbeobachtung haben wir in einem gesonderten Interview behandelt.
Verfasst am: 20.09.2024
Dr. Carsten Schucht Rechtsanwalt Dr. Carsten Schucht ist Partner der Produktkanzlei am Standort Berlin. Er ist spezialisiert auf die Beratung in den Bereichen des Produktsicherheits-, Produkthaftungs- und Arbeitsschutzrechts.
E-Mail: schucht@produktkanzlei.com | www.produktkanzlei.com
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