Ergänzung vom 10.1.2019
Dieser Fachbeitrag hat großes Interesse geweckt. Kritische Stimmen haben unsere Ausführungen teilweise angezweifelt. Auf Grund der zahlreichen Rückfragen und der aufgetretenen Zweifel haben wir die Rechtslage noch einmal genauer unter die Lupe genommen und einen neuen Fachbeitrag mit diesem Titel verfasst:
Diesen neuen Beitrag haben wir vorab ausgewählten Experten aus Behörden bereitgestellt und um Feedback gebeten. Den neuen Beitrag finden Sie hier.
Auch nach unseren vertieften Recherchen sind wir zum Ergebnis gekommen:
Vorwort zur Vorbeugung von Meinungsverschiedenheiten: Als glühende Verfechter präventiver Maßnahmen zur Vermeidung von Unfällen an Maschinen und Anlagen liegt uns die Klarstellung einiger wichtiger Punkte besonders am Herzen:
Auf den CE-PraxisTAGEN im Mai 2018 hat vor allem eine Aussage viel Aufmerksamkeit geweckt:
„Eine nachträgliche Konformitätsbewertung an einer bereits am Markt befindlichen Maschine oder Anlage ist nicht möglich.“
Dies führt zu wichtigen Grundsatzfragen:
Diese Fragen diskutieren wir in diesem Beitrag, den wir Ihnen im Rahmen unseres CE-InfoService kostenlos zur Verfügung stellen.
Die Antwort ist einfach: Die Maschinenrichtlinie regelt das nicht durch ein ausdrückliches Verbot, sondern durch Gebote. Besonders wichtig ist dabei die Beachtung von zwei Stellen des Anhang I der Maschinenrichtlinie, der die „Grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für Konstruktion und Bau von Maschinen“ regelt:
Maschinenrichtlinie 2006/42/EG –ANHANG I:ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE 1. Der Hersteller einer Maschine oder sein Bevollmächtigter hat dafür zusorgen, dass eine Risikobeurteilung vorgenommen wird, um die für die Maschine geltenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zu ermitteln. Die Maschine muss dann unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Risikobeurteilung konstruiert und gebaut werden. Bei den vorgenannten iterativen Verfahren der Risikobeurteilung und Risikominderung hat der Hersteller oder sein Bevollmächtigter:
Maschinenrichtlinie 2006/42/EG –ANHANG I:GRUNDLEGENDE SICHERHEITS- UND GESUNDHEITSSCHUTZANFORDERUNGEN1.1.2. Grundsätze für die Integration der Sicherheit b) Bei der Wahl der angemessensten Lösungen muss der Hersteller oder sein Bevollmächtigter folgende Grundsätze anwenden, und zwar in der angegebenen Reihenfolge:
Das unscheinbare Wörtchen „dann“ im zweiten Satz der allgemeinen Grundsätze legt unmissverständlich den zeitlichen Verlauf bzw. den Prozess fest. Es muss (zuerst) eine Risikobeurteilung vorgenommen werden. Erst „dann“ – also nach der Risikobeurteilung – darf die Maschine entsprechend dieser Risikobeurteilung konstruiert und gebaut werden. Die EU-Kommission stellt in ihrem Anwenderleitfaden zur Maschinenrichtlinie (2. Aufl. Juni 2010 in § 158) klar, „dass das Risikobeurteilungsverfahren parallel zur Entwicklung der Maschine durchlaufen werden muss.“ Der letzte Satz des allgemeinen Grundsatzes Nr. 1 verweist auf Anhang I, Nr. 1.1.2 (siehe Kasten oben). Hier wird der in der für den sicherheitstechnischen Maschinen- und Anlagenbau besonders wichtigen harmonisierten Norm EN ISO 12100 (Sicherheit von Maschinen ― Allgemeine Gestaltungsleitsätze ― Risikobeurteilung und Risikominderung) beschriebene „iterative Prozess zur Risikominderung“ zur gesetzlichen Forderung! Abschnitt 6.2 dieser wichtigen Norm enthält eine ganze Reihe an Ideen, wie Maschinen inhärent sicher gebaut werden können. Zur Klärung unserer in diesem Beitrag behandelten Fragen eignet sich ein Beispiel in besonderer Weise:
EN ISO 12100:2010, Abschnitt 6.2.2.1 (b): Gefährdungen durch Quetschen und Scheren werden z. B. dadurch vermieden, dass der Mindestabstand zwischen den sich bewegenden Teilen so vergrößert wird, dass das betreffende Körperteil sicher in den Zwischenraum gelangen kann, oder indem der Zwischenraum so verkleinert wird, dass kein Körperteil hineingelangen kann (siehe ISO 13854 und ISO 13857)
Ließe sich also das Risiko einer identifizierten Gefährdung durch einen größeren Abstand von zwei Teilen hinreichend vermindern, dann wäre zum Beispiel eine Schutzeinrichtung (Schutztür, Lichtvorhang,…) nicht mehr die gesetzlich geeignete Wahl. Bei einer Risikobeurteilung an einer bereits gebauten Maschine besteht aber häufig nur noch die Möglichkeit, nicht inhärent sichere Konstruktionen mit Schutzeinrichtungen oder Hinweisen auf Restgefährdungen zu begegnen. Natürlich ist es auch im Nachhinein nicht möglich, andere Zukaufteile oder Lieferanten auszuwählen, da mit den eingesetzten Komponenten oder unvollständigen Maschinen die grundlegenden Sicherheitsanforderungen nicht erreicht werden können. Vor allem im Steuerungsbau trifft man auch heute immer noch auf erschreckend hohe (unbewusste) Inkompetenz. Nicht selten glauben Steuerungstechniker, die Not-Halt Einrichtungen oder Schutzfunktionen über Standard-SPS-Steuerungen ausführen, dass sich ihre Steuerungen auf dem sicherheitstechnischen Höchststand befinden, tatsächlich handelt es sich aber um sicherheitstechnisch höchst gefährliche Maschinen, die in keiner Weise den Stand der Technik erfüllen. Derartige Mängel nachträglich zu korrigieren, ist teilweise unmöglich oder unwirtschaftlich. Fazit: Der durch die Maschinenrichtlinie vorgeschriebene Prozess lässt sich tatsächlich nachträglich nicht aufrollen. Somit muss man rechtlich zum Schluss kommen, dass eine nachträgliche Konformitätsbewertung und CE-Kennzeichnung unzulässig ist, zumindest wenn man nicht selbst Hersteller ist.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass eine fehlende CE-Kennzeichnung nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass die Maschine oder Anlage nicht ausreichend sicher ist. Aber der Reihe nach: Die Frage, welche Arbeitsmittel in den betrieblichen Einsatz kommen dürfen, regeln die Arbeitsschutzgesetze:
Österreich: Arbeitsmittelverordnung § 3 Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen
Anmerkung: Anhang B enthält u. a. die nationale Umsetzung der Maschinen- und Niederspannungsrichtlinie.
Deutschland: BetrSichV - § 5 Anforderungen an die zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel
(1) Der Arbeitgeber darf nur solche Arbeitsmittel zur Verfügung stellen und verwenden lassen, die unter Berücksichtigung der vorgesehenen Einsatzbedingungen bei der Verwendung sicher sind. Die Arbeitsmittel müssen
1. für die Art der auszuführenden Arbeiten geeignet sein,
2. den gegebenen Einsatzbedingungen und den vorhersehbaren Beanspruchungen angepasst sein und
3. über die erforderlichen sicherheitsrelevanten Ausrüstungen verfügen,
sodass eine Gefährdung durch ihre Verwendung so gering wie möglich gehalten wird. Kann durch Maßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 die Sicherheit und Gesundheit nicht gewährleistet werden, so hat der Arbeitgeber andere geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen, um die Gefährdung so weit wie möglich zu reduzieren.
(2) Der Arbeitgeber darf Arbeitsmittel nicht zur Verfügung stellen und verwenden lassen, wenn sie Mängel aufweisen, welche die sichere Verwendung beeinträchtigen.
(3) Der Arbeitgeber darf nur solche Arbeitsmittel zur Verfügung stellen und verwenden lassen, die den für sie geltenden Rechtsvorschriften über Sicherheit und Gesundheitsschutz entsprechen. Zu diesen Rechtsvorschriften gehören neben den Vorschriften dieser Verordnung insbesondere Rechtsvorschriften, mit denen Gemeinschaftsrichtlinien in deutsches Recht umgesetzt wurden und die für die Arbeitsmittel zum Zeitpunkt des Bereitstellens auf dem Markt gelten. Arbeitsmittel, die der Arbeitgeber für eigene Zwecke selbst hergestellt hat, müssen den grundlegenden Sicherheitsanforderungen der anzuwendenden Gemeinschaftsrichtlinien entsprechen. Den formalen Anforderungen dieser Richtlinien brauchen sie nicht zu entsprechen, es sei denn, es ist in der jeweiligen Richtlinie ausdrücklich anders bestimmt.
(4) Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass Beschäftigte nur die Arbeitsmittel verwenden, die er ihnen zur Verfügung gestellt hat oder deren Verwendung er ihnen ausdrücklich gestattet hat.
Der Gesetzgeber fordert demnach, dass Arbeitsmittel den Mitarbeitern nur dann bereitgestellt werden dürfen, wenn sie – unter anderem – den „Herstellergesetzen“ entsprechen (für Österreich AM-VO § 3 (1), für Deutschland BetrSichV § 5 (3)). Das tun Maschinen oder Anlagen dann nicht, wenn sie nicht der EG-Maschinenrichtlinie entsprechen, wenn sie in deren Anwendungsbereich fallen. Die formal juristische Folgerung daraus könnte lauten: Hat eine Maschine keine CE-Kennzeichnung und ist der Hersteller – aus welchen Gründen auch immer – nicht willens oder in der Lage, die fehlende CE-Kennzeichnung und Konformitätserklärung nachzuliefern, dann darf die Maschine den Mitarbeitern nicht bereitgestellt werden.
Aber dürfen Aufsichtsbehörden beim Arbeitgeber/Betreiber Maschinen stilllegen, wenn der Hersteller seine Pflichten nicht erfüllt hat? Jede staatliche Entscheidung muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen, darf also nicht unangemessen belasten und nicht „über das Ziel hinausschießen“. Juristen nennen das auch „Übermaßverbot“. Ist es verhältnismäßig, eine Maschine ohne CE-Kennzeichnung in jedem Fall von der (weiteren) Nutzung auszuschließen? Weder das deutsche noch das österreichische Gesetz behandelt die Frage, unter welchen Bedingungen eine Maschine ohne CE-Kennzeichnung betrieben werden darf. Die österreichische AM-VO beschäftigt sich jedoch in § 3 (4) mit der Frage, wie vorzugehen ist, wenn der Käufer feststellt, dass die Maschine zwar eine CE-Kennzeichnung trägt, er jedoch Erkenntnisse darüber erlangt hat, dass die Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen nicht erfüllt sind und das CE-Kennzeichnen daher unrechtmäßig angebracht wurde. Laut AM-VO ist in diesem Fall „unverzüglich die Ermittlung und Beurteilung der vom Arbeitsmittel ausgehenden Gefahren zu überprüfen“. Der Gesetzgeber fordert also nicht gleich die Stilllegung, obgleich hier bereits bekannt ist, dass Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen nicht erfüllt sind, was bei einer fehlenden CE-Kennzeichnung aber nicht zwangsläufig angenommen werden muss. Wenn der Gesetzgeber bei bekannten Sicherheitsmängeln Milde walten lässt und nicht gleich die Stilllegung sondern „nur“ eine unverzügliche Ermittlung fordert, ob vom Arbeitsmittel Gefahren ausgehen, dann muss das konsequenterweise wohl auch bei einer fehlenden CE-Kennzeichnung zugestanden werden. Dieses Argument nennen Juristen „Erst-Recht-Schluss“. Da es in weiterer Folge nach AM-VO zulässig ist, ein Arbeitsmittel mit unrechtmäßig angebrachter CE-Kennzeichnung weiter zu betreiben, wenn der Arbeitgeber „geeignete Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der ArbeitnehmerInnen“ ergriffen hat, dann muss das erst recht auch für eine Maschine ohne CE-Kennzeichen gelten. Erst in letzter Konsequenz fordert die AM-VO: „Erforderlichenfalls ist das Arbeitsmittel stillzulegen und von der weiteren Benutzung auszuschließen.“ Das deutsche Recht regelt all dies nicht, aber es würde ähnlich aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen – insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsprinzip – abgeleitet werden. Aber selbst die EG-Maschinenrichtlinie deutet diese Schranken an - im Anhang VII A.3 heißt es: "Werden technische Unterlagen den zuständigen Behörden auf begründetes Verlangen nicht vorgelegt, so kann dies ein hinreichender Grund sein, um die Übereinstimmung der betreffenden Maschine mit den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen anzuzweifeln". Also selbst wenn eine Risikobeurteilung komplett fehlt, „kann“ dies ein begründeter Verdacht der Unsicherheit, „muss“ es aber nicht sein. Dann gilt das „erst Recht“ für den formellen Gesichtspunkt der fehlenden CE-Kennzeichnung. Eine anstatt der Stilllegung mildere – und damit allein rechtlich zulässige – Maßnahme wäre im Übrigen die Anordnung, dass ein Produkt einer Konformitätsbewertung unterzogen wird oder – so z. B. § 26 Abs. 2 Satz 2 Nr.3 des deutschen ProdSG – „von einer notifizierten Stelle oder einer in gleicher Weise geeigneten Stelle überprüft wird“.
Aus diesen Überlegungen ergeben sich zwei wichtige Grundsatzfragen:
Der Arbeitgeber muss seine Arbeitsschutzpflichten (gemäß AM-VO in Österreich bzw. BetrSichV in Deutschland) auch dann erfüllen und umsetzen, wenn der Hersteller seine Produktsicherheitspflichten nicht (vollständig) erfüllt hat. Zunächst könnte er sich an den Hersteller der Maschine wenden. Er sollte am Typenschild, aus den technischen Unterlagen oder den Vertragsunterlagen identifizierbar sein. Ist er nicht mehr verfügbar oder nicht kooperativ, bleibt nur die Option, die nötigen Prüfungen selbst durchzuführen oder von jemandem durchführen zu lassen, der für den jeweiligen Maschinentyp die nötige Expertise besitzt. Neben den arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen sollte diese Person die für den Produkttyp geltenden EU-Richtlinien, die aktuelle C-Norm sowie die wichtigen Basisnormen EN ISO 12100, EN ISO 13849-1 und -2 sowie EN 60204-1 kennen. Vor allem mechanische oder thermische Gefährdungen lassen sich oft durch eine Sichtprüfung feststellen. Viele Gefahren lauern aber in Detailbereichen im Hintergrund der Fassade, wie zum Beispiel Gefährdungen durch Explosion, Brandgefahren, Bruch von Bauteilen, unerwarteter Anlauf, Versagen von Steuerungskomponenten, Gefährdungen durch Stromausfälle. Um derartige Gefährdungen zu identifizieren ist spezielles Fachwissen unumgänglich! Um das sicherheitstechnische Niveau einer Maschine aus steuerungstechnischer Sicht im Grundsatz beurteilen zu können, ist es meist zweckmäßig, zwei oder drei ausgeführte Sicherheitskreise unter Zuhilfenahme der Schaltpläne genauer zu untersuchen. So kann man in der Regel relativ rasch feststellen, ob die Maschine von einem Hersteller konstruiert und gebaut wurde, der die grundlegenden sicherheitstechnischen Anforderungen kennt. Ist das nicht der Fall, kann es mitunter notwendig werden, die gesamte Steuerung neu zu konzipieren. Besonders kritisch sind Konstruktionsfehler, die den Benutzern nur scheinbare Sicherheit bieten wie zum Beispiel:
Es ist selbstredend, dass die Personen, die entscheiden, welche Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der ArbeitnehmerInnen ergriffen werden müssen, ausreichend kompetent sein müssen. Im Zweifelsfall sollte fachmännische Unterstützung hinzugezogen werden. Jedenfalls muss sichergestellt sein, dass die Maschine für den Weiterbetrieb der BetrSichV (DE) und der AM-VO (AT) entspricht. Auch eine Prüfliste nach Anhang B der EN ISO 12100 kann hilfreich sein, Gefährdungen zu identifizieren. Bei der Frage, ob Maschinen im Einzelfall bereitgestellt werden dürfen, spielen die Fachkräfte für Arbeitssicherheit eine wichtige Rolle!
Wichtige Anmerkung für Hersteller von Maschinen: Die oben genannten Überlegungen zielen darauf ab, den im Gesetz nicht vorgesehenen Betrieb einer vom Hersteller nicht CE-gekennzeichneten Maschine betreiben zu können. Dies entlässt den Hersteller, der die Maschine ohne CE-Kennzeichnung in den Verkehr gebracht hat nicht aus seiner Verantwortung und ggf. Haftung. Nach einem möglichen Unfall mit entsprechendem Schaden intensiviert sich die Suche nach dem/n Verursacher/n. Hersteller sind also gut beraten, Reklamationen über fehlende CE-Kennzeichnungen oder sicherheitstechnische Mängel aus ihrem Kundenkreis ernst zu nehmen.
In vielen Fällen wird man davon ausgehen können, dass man mit den Maßnahmen, die man ergriffen hat, um eine Maschine oder Anlage nachträglich einem Konformitätsbewertungsverfahren inklusive CE-Kennzeichnung zu unterziehen, die produktbezogenen Anforderungen der Arbeitsschutzgesetze (§ 3 Abs. 1 AM-VO bzw. § 5 Abs. 3 BetrSichV) eher übertroffen haben wird. Somit müsste aus sicherheitstechnischer Sicht eigentlich kein Handlungsbedarf gegeben sein, es sei denn, dass bei den Tätigkeiten Fehler gemacht wurden. Wir halten es trotz unseres rechtlichen Verständnisses bei der ersten Frage nicht für einen vernünftigen Weg, die jetzt auf der Maschine befindliche CE-Kennzeichnung von der Maschine zu entfernen und eine unterschriebene Konformitätserklärung zu vernichten. Der Arbeitgeber / Betreiber hat ja mehr Verantwortung übernommen als er müsste und sich quasi selbst zum Hersteller gemacht. Wenn die Anforderungen der AM-VO bzw. der BetrSichV (mit dem jeweiligen Verweis auf die Herstellervorschriften) erfüllt sind, ist eine aufsichtsbehördliche Maßnahme schwer vorstellbar. Sollte es an einer solchen Maschine zu einem Schadensfall kommen, der das Interesse der Staatsanwaltschaft, von Opferanwälten oder von Versicherungen auf sich zieht, sollte darauf geachtet werden, dass die nachträglich getätigten Arbeiten in kluger Weise dargestellt werden um nicht in die Haftungsrolle des Herstellers zu schlüpfen. Noch ein Punkt soll abschließend nicht unerwähnt bleiben: Denjenigen Personen oder Unternehmen, die bisher die Rechtsmeinung vertreten haben, dass Maschinen ohne CE-Kennzeichnung einem nachträglichen Konformitätsbewertungsverfahren zu unterziehen sind, sollte man nicht per se unterstellen, sie hätten das aus persönlichem Interesse so interpretiert, um Dienstleistungsaufträge zu akquirieren. Zum einen kann von den Autoren dieses Beitrags nicht in Anspruch genommen werden, dass sich Gerichte der dargestellten Sichtweise im Einzelfall anschließen und zum anderen darf nicht vergessen werden, dass ein Betriebsmittel jedenfalls rechtswidrig in den Verkehr gebracht wurde und daher in diesem Zustand nicht einfach den Beschäftigten bereitgestellt werden durfte. Richtigerweise hätte der Auftrag an den Dienstleister dann nicht eine „Nachzertifizierung“ sein sollen, sondern eine arbeitsschutzrechtliche „Ermittlung und Beurteilung der vom Arbeitsmittel ausgehenden Gefahren“. Da die AM-VO in § 3 (5) fordert, dass die durchzuführenden Maßnahmen in den Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumenten zu dokumentieren sind und dass in dieser Dokumentation „die festgestellten Gefahren und die dagegen ergriffenen Schutzmaßnahmen darzustellen“ sind, wird der Aufwand zwischen den beiden Verfahren in der Praxis unter Umständen nicht sonderlich divergieren. Und was jedenfalls beachtet werden sollte: die kausale Ursache für die nachträglichen Maßnahmen lag in der Gutgläubigkeit im Beschaffungsprozess, dass der Hersteller seine gesetzlichen Auflagen erfüllen würde. Wie so häufig hätte auch hier gegolten: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, nicht zuletzt deshalb, weil eine rechtskonform hergestellte Maschine oder Anlage teurer sein kann als eine Maschine oder Anlage, bei der der Hersteller die grundlegenden Sicherheitsanforderungen nicht erfüllt hat (Wettbewerbsvorteil durch Gesetzesbruch).
Verfasst am: 19.10.2018
Ing. Helmut Frick Seit 1994 CE-Beratung im Maschinen- und Anlagenbau mit Schwerpunkt CE-Organisation und Normenmanagement. Geschäftsführer der IBF Holding GmbH sowie Leiter der Business-Unit "Digitale Normung".
E-Mail: helmut.frick@ibf-solutions.com | www.ibf-solutions.com
Prof. Dr. Thomas Wilrich Tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkthaftung, Arbeitsschutz und Warenvertrieb einschließlich der entsprechenden Betriebsorganisation, Vertragsgestaltung, Schadensersatz- und Führungskräftehaftung, Versicherungsfragen und Strafverteidigung. Er ist an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule München zuständig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik- und Unternehmensorganisationsrecht sowie „Recht für Ingenieure“.
E-Mail: info@rechtsanwalt-wilrich.de | www.rechtsanwalt-wilrich.de
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