Fachbeitrag teilen
Am 23.5.2023 wurde die neue Produktsicherheitsverordnung (General Product Safety Regulation – GPSR) im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Damit steht der Novellierung des allgemeinen Produktsicherheitsrechts, die zur Ablösung der Richtlinie 2001/95/EG (sog. Allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie) und damit in weiten Teilen auch des ProdSG führen wird, nichts mehr im Weg. Die GPSR soll gewährleisten, dass auch weiterhin nur sichere nicht-harmonisierte Verbraucherprodukte in Verkehr gebracht werden. Insbesondere aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung von Produkten und der Vertriebswege hat der europäische Gesetzgeber reagieren müssen und eine Vielzahl von Änderungen des allgemeinen Produktsicherheitsrechts vorgesehen.
Die GPSR legt den Rahmen für die Sicherheit von nicht-harmonisierten Verbraucherprodukten fest und gilt in Teilen auch für den harmonisierten Bereich (vgl. etwa Artt. 19, 20, 22 GPSR und Kapitel VIII). Damit dient die GPSR der Stärkung des technischen Verbraucherschutzes. Zugleich stellen die Neuerungen der GPSR die Wirtschaftsakteure vor Herausforderungen bei der Gewährleistung der Product Compliance. Im Einzelnen sind die folgenden Neuerungen und Besonderheiten hervorzuheben:
Seminarhinweis
Die neue EU-Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
In unserem Seminar informieren wir Sie kompakt darüber, welche Anforderungen der GPSR für Sie relevant sind und wie Sie diese effizient anwenden.
zum Seminar
Wie bereits im Marktüberwachungsrecht und ProdSG zählen Fulfilment-Dienstleister i.S.d. Art. 3 Nr. 12 GPSR zu den Wirtschaftsakteuren gemäß Art. 3 Nr. 13 GPSR. Allerdings legt die GPSR (im Unterschied zu § 6 Abs. 6 ProdSG) keine spezifischen Pflichten des Fulfilment-Dienstleisters fest. Neu ist die Einbeziehung von Anbietern von Online-Marktplätzen in den persönlichen Anwendungsbereich. Aufgrund der weiten Begriffsbestimmung gemäß Art. 3 Nr. 13 GPSR spricht vieles dafür, auch sie zum Kreis der Wirtschaftsakteure zu rechnen, da sie Pflichten gemäß Art. 22 GPSR treffen.
Der EU-Gesetzgeber hat neue Kriterien für die Beurteilung der Sicherheit von Produkten verankert. Dabei wurde erkennbar ein besonderes Augenmerk auf Elemente bei smarten Produkten gelegt, die bislang in Harmonisierungsrechtsvorschriften keinen Eingang gefunden haben und daher ebenso im harmonisierten Bereich Geltung entfalten werden. Der umfangreiche Katalog in Art. 6 GPSR umfasst im Wesentlichen folgende Beurteilungskriterien:
Hersteller trifft für ausnahmslos jedes Produkt die Pflicht, eine interne Risikoanalyse durchzuführen und technische Unterlagen zu erstellen, die mindestens eine allgemeine Beschreibung des Produkts und seiner für die Sicherheitsbewertung relevanten wesentlichen Eigenschaften enthalten (Art. 9 Abs. 2 Uabs. 1 GPSR). Eine Bagatellklausel, die minderkomplexe Trivialprodukte ausnimmt, gibt es nicht. In Abhängigkeit von den Produktrisiken kann sich das Pflichtenprogramm des Herstellers vielmehr verdichten (Art. 9 Abs. 2 Uabs. 2 GPSR). Der Hersteller hat die technischen Unterlagen für zehn Jahre aufzubewahren (Art. 9 Abs. 3 GPSR).
In Anlehnung an den Blue Guide gibt Art. 13 Abs. 3 GPSR dem Rechtsanwender Kriterien zur Feststellung einer wesentlichen Produktveränderung an die Hand. Danach gilt eine physische oder digitale Änderung eines Produkts als wesentlich, wenn sie sich auf die Sicherheit des Produkts auswirkt und
Diejenige Person, die das Produkt wesentlich verändert, gilt als Hersteller und tritt in die Herstellerpflichten ein (Art. 13 Abs. 2 GPSR). Wenn auch nicht explizit erwähnt, setzt die Übernahme der Herstellerrolle denklogisch das erneute Inverkehrbringen des Produkts voraus.
Künftig ist die Verkehrsfähigkeit auch von nicht-harmonisierten Verbraucherprodukten an die Existenz eines sog. EU-Wirtschaftsakteurs gekoppelt (Art. 16 Abs. 1 GPSR). Für harmonisierte Produkte wurde eine entsprechende Regelung bereits mit der Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2019/1020 (sog. EU-Marktüberwachungsverordnung) eingeführt. Den EU-Wirtschaftsakteur, der bei Produkten aus EU-Drittländern regelmäßig der Einführer ist, treffen Prüf- und Kennzeichnungspflichten (vgl. Art. 16 Abs. 2, 3 GPSR).
Mit der GPSR wird der Kommission die Möglichkeit eröffnet, ein Rückverfolgbarkeitssystem einzurichten. Dieses soll die Rückverfolgung von Produkten erleichtern, die ein ernstes Risiko für die Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern darstellen (Art. 18 Abs. 1 GPSR). Zentraler Aspekt wird die Erfassung und Speicherung von Daten auf elektronischem Wege sein, anhand derer das Produkt, seine Komponenten oder die an seiner Lieferkette beteiligten Wirtschaftsakteure identifiziert werden können (Art. 18 Abs. 2 GPSR). Der Kommission wird die Befugnis zur näheren Ausgestaltung des Systems, insbesondere zur Festlegung der erfassten Produkte, übertragen (Art. 18 Abs. 3 GPSR).
Art. 20 GPSR statuiert Pflichten der Wirtschaftsakteure bei Unfällen, die im Zusammenhang mit der Sicherheit von Produkten auftreten. Vorrangig obliegt es dem Hersteller, einen produktbedingten Unfall, der zum Tod oder zu Gesundheitsnachteilen führt, unverzüglich (ab Kenntnis) den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates, in dem sich der Unfall ereignet hat, zu melden. Die Meldung erfolgt über das sog. Safety-Business-Gateway (Art. 20 Abs. 1 GPSR). Einführer und Händler müssen gemäß Art. 20 Abs. 3 GPSR entsprechende Vorkommnisse dem Hersteller melden, der anschließend seiner Pflicht aus Art. 20 Abs. 1 GPSR nachkommen muss. Existiert kein in der Union niedergelassener Hersteller, hat der EU-Wirtschaftsakteur für die Meldung zu sorgen (Art. 20 Abs. 4 GPSR).
Bei der Bereitstellung von Produkten über Fernabsatzkanäle legt die GPSR besondere Regelungen fest. So gelten Verbraucherprodukte schon dann als auf dem Markt bereitgestellt, wenn sie online oder über andere Fernabsatzwege Verbrauchern in der Union zum Verkauf angeboten werden (Art. 4 GPSR). Damit wird ein Gleichlauf zur Bereitstellungsfiktion im Marktüberwachungsrecht gemäß Art. 6 VO (EU) 2019/1020 geschaffen.
Zudem richtet die GPSR an die Wirtschaftsakteure besondere Informationspflichten beim Fernabsatz gemäß Art. 19 GPSR. Demnach gilt es, folgende Angaben schon im Zeitpunkt des Angebots zu machen:
Auch Anbieter von Online-Marktplätzen sind neuerdings Pflichtenadressaten. Sie müssen etwa unabhängig von anderen Pflichten der Wirtschaftsakteure eine zentrale Kontaktstelle benennen, über die die Marktüberwachungsbehörden mit ihnen kommunizieren können. Die Anbieter müssen sich außerdem beim Safety-Gate-Portal registrieren und dort die Angaben zu dieser Anlaufstelle hinterlegen (Art. 22 Abs. 1 GPSR). Schließlich haben sie die Pflicht, eine vergleichbare Kontaktstelle anzubieten, über die Verbraucher Fragen zur Produktsicherheit direkt und schnell mit dem Anbieter des Online-Marktplatzes kommunizieren können (Art. 22 Abs. 2 GPSR). Überdies treffen sie organisatorische Verpflichtungen (Art. 22 Abs. 3, 10 GPSR) sowie umfangreiche Melde- und Mitwirkungspflichten gegenüber den Marktüberwachungsbehörden (Art. 22 Abs. 4 ff. GPSR), damit sie einen Beitrag zur Gewährleistung der Produktsicherheit leisten.
Die Wirtschaftsakteure und Anbieter von Online-Marktplätzen müssen sicherstellen, dass alle betroffenen Verbraucher, die sie ermitteln können, direkt und unverzüglich über Produktrückrufe und andere sicherheitsrelevante Themen informiert werden. Sofern sie personenbezogene Daten i.S.d. Art. 4 Nr. 1 Verordnung (EU) 2016/679 (sog. Datenschutz-Grundverordnung) erheben, müssen diese Informationen für Rückrufe und Sicherheitswarnungen genutzt werden (Art. 35 Abs. 1 GPSR). Überdies sind Wirtschaftsakteure gem. Art. 35 Abs. 2 GPSR verpflichtet, ihren Kunden die Möglichkeit anzubieten, gesonderte Kontaktdaten ausschließlich zu Sicherheitszwecken zu hinterlegen. Für bestimmte Produkte können daneben weiterreichende Registrierungsmöglichkeiten verpflichtend vorgeschrieben werden (Art. 35 Abs. 3 GPSR).
Anknüpfend an Art. 35 GPSR stellt Art. 36 GPSR detaillierte Anforderungen an die Gestaltung einer Rückrufanzeige auf, die im Falle eines Rückrufs in schriftlicher Form an Verbraucher zu richten ist. Die Rückrufanzeige muss für den Verbraucher in einer leicht verständlichen Sprache formuliert sein und bestimmte Anforderungen an Format und Inhalt genügen (Art. 36 Abs. 2 GPSR). Die Kommission wird eine Vorlage zur Verfügung stellen, die den Wirtschaftsakteuren die Handhabung der Vorschriften erleichtert (Art. 36 Abs. 3 GPSR).
Obwohl von der Wirtschaft heftig kritisiert, wurde die Regelung aus Art. 37 GPSR beibehalten, welche die Wirtschaftsakteure zu Abhilfemaßnahmen gegenüber Verbrauchern im Falle eines Produktsicherheitsrückrufs verpflichtet. Unbeschadet zivilrechtlicher Ansprüche muss der für den Rückruf verantwortliche Wirtschaftsakteur den betroffenen Verbrauchern proaktiv zwei der folgenden Abhilfemaßnahmen kostenlos anbieten:
Diese Regelung, die als regulatorische Pflicht der Wirtschaftsakteure ausgestaltet ist, unterminiert das gewährleistungsrechtliche Regime und schafft in gewisser Form ein endloses produktsicherheitsrechtliches Gewährleistungsrecht im Falle des Rückrufs. Dies dürfte sich auf die Preise von Verbraucherprodukten und die Ausgestaltung von Produkthaftpflicht- und Rückrufversicherungen auswirken.
Die GPSR ist am 12.6.2023 in Kraft getreten. Nach einem Übergangszeitraum von 18 Monaten, währenddessen weiterhin nicht-harmonisierte Verbraucherprodukte nach der Richtlinie 2001/95/EG bzw. dem ProdSG auf dem Markt bereitgestellt werden dürfen (vgl. Art. 51 GPSR), gilt sie unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Dieser Geltungsbeginn ist ab dem 13.12.2024 vorgesehen. Die GPSR löst einen Anpassungsbedarf des ProdSG aus, dessen Anwendungsbereich sich künftig auf nicht-harmonisierte B2B-Produkte konzentrieren wird.
Am 23.5.2023 wurde die neue Produktsicherheitsverordnung im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Über folgenden Link können Sie den Volltext der Rechtsvorschrift öffnen und herunterladen:
Verordnung (EU) 2023/988 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 2023 über die allgemeine Produktsicherheit
Am 19.12.2023 wurde eine Berichtigung zur Verordnung im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Diese korrigiert u.a. die deutschsprachige Fassung und ersetzt den Ausdruck "E-Mail-Adresse" künftig durchgehend mit dem Ausdruck "Elektronische Adresse". Diese Änderung eröffnet somit die Möglichkeit, die Internetadresse (alternativ zur E-mail-Adresse) anzugeben.
Die Verordnung (EU) 2024/2748 wurde am 8.11.2024 im EU-Amtsblatt veröffentlicht und ergänzt die Produktsicherheitsverordnung (EU) 2023/988 durch Notfallverfahren für Krisenzeiten. Sie erleichtert das schnelle Inverkehrbringen wichtiger Produkte, um den Binnenmarkt zu stützen und Versorgungslücken in Krisenfällen zu schließen.
Haben Sie zu dieser News Fragen oder wollen Sie mit dem Autor über die News diskutieren? Kontaktieren Sie dafür Dr. Gerhard Wiebe
Produktbeobachtungspflicht und Rückrufmanagement
In unserem Seminar lernen Sie die Pflichten zur Produktbeobachtung kennen, um im Ernstfall auf Rückrufe bestmöglich vorbereitet zu sein.
Verfasst am: 11.11.2024 (letzte Aktualisierung)
Dr. Gerhard Wiebe Rechtsanwalt in der Produktkanzlei. Er ist auf die Beratung zu Product-Compliance-Themen spezialisiert und berät internationale sowie nationale Hersteller, Importeure und Händler von Non-Food-Produkten (Konsum- und Investitionsgüter), zum Produktsicherheits- und Produkthaftungsrecht. Neben klassischen produktrechtlichen Aspekten nimmt Dr. Wiebe bei digitalen Produkten insbesondere auch die stetig wachsenden IT-sicherheitsrechtlichen Produktanforderungen in den Blick. E-Mail: wiebe@produktkanzlei.com
Sie sind noch nicht zum kostenlosen CE-InfoService registriert? Melden Sie sich jetzt an und erhalten Sie die Info per Mail, wenn neue Fachbeiträge, wichtige Normenveröffentlichungen oder sonstige News aus dem Bereich Maschinen- und Elektrogerätesicherheit bzw. Product Compliance verfügbar sind.
Registrieren
CE-Software zum systematischen und professionellen sicherheitstechnischen Engineering
Praxisgerechte Seminare rund um das Thema Produktsicherheit
Mit dem CE-InfoService bleiben Sie informiert bei wichtigen Entwicklungen im Bereich Produktsicherheit