Fachbeitrag

Normen für Schutzeinrichtungen in neuer Ausgabe

EN ISO 13855 und EN ISO 14119

Umfangreiche Neuanforderungen für Hersteller von Maschinen bei Schutzeinrichtungen


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Die Überarbeitung der Normen EN ISO 14119 und EN ISO 13855 stellt Maschinenhersteller vor neue Herausforderungen. Mit umfangreichen Anpassungen an den aktuellen Stand der Technik und einem klaren Fokus auf Risikobeurteilungen sind diese Normen entscheidend für die Sicherheit in der Maschinenkonstruktion. Die neuen Anforderungen erfordern eine genauere Planung und Umsetzung von Sicherheitsmechanismen, um den Schutz von Bedienern und Anlagen zu gewährleisten. Im Fachbeitrag haben wir auf Basis der aktuellen Normentwürfe die wesentlichen Änderungen und ihre Auswirkungen auf die Praxis zusammengefasst. So können Sie sich bereits jetzt inhaltlich auf das Erscheinen der finalen Normenausgaben vorbereiten.

Wann kommen die neuen Normen EN ISO 14119 und EN ISO 13855?

Nach Angaben des zuständigen Herausgebers CEN besitzen beide Normen den Status "Approved", eine entsprechende Ratifizierung erfolgte Mitte Juli 2024. Im Zuge der Veröffentlichung durch CEN werden die Normen anschließend an die nationalen Normungsorganisationen zur Publizierung verteilt, voraussichtlich können Anwender die finalen Ausgaben Anfang 2025 beziehen.
 

Handelt es sich bei den neuen Ausgaben von EN ISO 14119 sowie EN ISO 13855 um harmonisierte Normen nach Maschinenrichtlinie und/oder Maschinenverordnung?

Auf der CEN-Website ist ersichtlich, dass es sich "nur" um harmonisierte Normen zur Maschinenrichtlinie handelt. Dies ist auch in den beiden Normentwürfen ersichtlich: die Dokumente besitzen lediglich einen Anhang ZA, welcher die Übereinstimmung der Normenabschnitte mit den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG dokumentiert. Eine Listung im EU-Amtsblatt zur Richtlinie wird in den Monaten nach der finalen Publikation im Falle einer positiven HAS-Beurteilung erwartet.

Voraussichtlich werden die beiden neuen Normenausgaben im Rahmen eines Durchführungsbeschlusses mit Einschränkungen auch im EU-Amtsblatt zur neuen Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 veröffentlicht. Details zu der geplanten Vorgehensweise finden Sie in underem Fachbeitrag "Neue Maschinenverordnung – Status harmonisierter Normen".
 

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Was sind die wesentlichen Neuerungen der überarbeiteten EN ISO 14119 für Verriegelungseinrichtungen?

Im Wesentlichen hat der Umfang der Norm deutlich zugenommen, so ist der aktuelle Normentwurf im Vergleich zur Norm aus dem Jahr 2013 von 78 auf 134 Seiten angewachsen. Die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen, die auch bisher schon sehr gut abgedeckt waren, wurden in der neuen Norm an den aktuellen Stand der Technik angepasst, zudem wurde der Anwendungsbereich um eine Anleitung für Maßnahmen zur Minimierung der Möglichkeit der Umgehung von Verriegelungseinrichtungen in vernünftigerweise vorhersehbarer Weise erweitert.

Einige Terminologien wurden ergänzt, um aktuellen Entwicklungen Rechnung zu tragen, wie z.B. Verriegelungseinrichtung der Bauart 5: Verriegelungseinrichtung mit Schlüsseltransfer. Diese Bauart wird auch später in Abschnitt 5 "Arbeitsprinzipien und Bauarten von Verriegelungseinrichtungen in Verbindung mit trennenden Schutzeinrichtungen" und Anhang K "Schlüsseltransfersysteme" ausführlich beschrieben. Wird ein derartiges Schlüsseltransfersystem verwendet, so sind unter Punkt 7.4 Anforderungen an einen Schlüssellaufplan zu stellen. Für jedes Schlüsseltransfersystem ist ein Schlüssellaufplan zu erstellen, welcher in weiterer Folge den Schlüsselpfad detailliert beschreiben muss. Basierend auf den sicherheitsrelevanten Spezifikationen muss eine Schlüsselcodierung festgelegt werden, welche sich mit entsprechender Beschreibung in der Betriebsanleitung wiederfinden muss.

Neu ist auch der Punkt 4, Symbole und Abkürzungen. Hier werden Symbole und Abkürzungen dargestellt und zeigen allgemeine Funktionsgrundsätze für die Verriegelungseinrichtungen.

In Abschnitt 6.2 finden sich neue Punkte betreffend der „Anforderung an Anordnung und Befestigung von Positionsschaltern, Bolzenschlössern und Zugangssperren“. In diesem Fall ist z. B. bei der Gestaltung der Zugangsmöglichkeiten auch die Verhinderung einer Umgehung in vernünftigerweise vorhersehbarer Weise zu berücksichtigen und die genannten Schalter dürfen nicht als mechanischer Anschlag dienen, es sei denn, dies ist die bestimmungsgemäße Verwendung des Positionsschalters.
Wenn die Einrichtung nicht als mechanischer Anschlag verwendet werden kann, muss sichergestellt werden, dass für die Anwendung zusätzliche mechanische Anschläge vorhanden sind. Dadurch soll verhindert werden, dass die Einrichtung einer übermäßigen Aufprallenergie ausgesetzt wird, die die vom Hersteller angegebene Energie überschreitet.
 

Was sind die wesentlichen Neuerungen der überarbeiteten EN ISO 13855 für Schutzeinrichtungen im Hinblick auf Annäherung des menschlichen Körpers?

Auch der Umfang der neuen EN ISO 13855 wird sich nahezu verdoppeln so ist diese Ausgabe mit 108 Seiten (vorher 50 Seiten) deutlich umfangreicher und auch komplexer geworden.

Neu ist die Formel zur Berechnung des Mindestabstandes, die jetzt in "Grundlagen zur Berechnung des Sicherheitsabstandes" umbenannt wurde:

S = K x T + DDS + Z

S beschreibt hierbei den Sicherheitsabstand zwischen Schutzeinrichtung und Gefährdungsbereich [mm]. Aus dem Begriff Mindestabstand S wurde jetzt der Sicherheitsabstand S, der den Mindestabstand zwischen Schutzeinrichtung und Gefährdungsbereich [mm] beschreibt.

K definiert die Annäherungsgeschwindigkeit 2000 [mm/s] oder 1600 [mm/s], je nach Anwendung.

Verändert wurde T: Stoppzeit der Sicherheitsfunktion nach dem Eindringen des relevanten Körperteils in das Schutzfeld [ms]. Die Ermittlung der Stoppzeit T wurde im Punkt 5.4 „Reaktionszeit des Gesamtsystems T“ beschrieben und ist wesentlich komplexer als bisher.

NEU ist DDS: Dieser beschreibt die Reichweite in Verbindung mit einer Schutzeinrichtung in Millimetern. Auch hier wurde der Komplexitätsgrad erhöht und um den Zuschlag in Abhängigkeit von Detektionsvermögen und Einbausituation [mm] erweitert. Die bisherige Durchdringweite CRT, CRO wurde durch die Reichweite DDS (bestehend aus DRT, DRO, DRU), dem Zuschlag in Abhängigkeit von Detektionsvermögen und Anbausituation, ersetzt.

NEU ist Z: Ein zusätzlicher Entfernungsfaktor, z. B. aufgrund von Messungenauigkeiten oder Bremsverschleiß [mm].

Außerdem neu aufgenommen wurden zahlreiche neue Terminologien, darunter z.B.:

  • Ganzkörperzugang: Situation, in der eine Person vollständig in einen geschützten Bereich eindringen kann.
  • Geschützter Bereich: Bereich oder Volumen, der/das (einen) Gefährdungsbereich(e) umschließt und in dem trennende und/oder nichttrennende Schutzeinrichtungen zum Schutz von Personen vorgesehen sind.
  • Bezugsebene: Ebene, auf der Personen während des Betriebs der Maschine oder des Zugangs zum Gefährdungsbereich oder zum sicherheitsbezogenen Handsteuergerät üblicherweise stehen würden.
  • Entfernungsfaktor Z: Zuschlag abhängig von Anwendungsfall, Maschine und Schutzeinrichtung, z. B. aufgrund von Messungenauigkeiten oder Bremsverschleiß.
  • SRMCD – sicherheitsbezogenes Handsteuergerät (safety-related manual control device): Betätigungseinrichtung, z. B. Drucktaster oder Fußhebel, für Funktionen wie Rücksetzen, Anlaufen/Wiederanlaufen oder Steuerung mit selbsttätiger Rückstellung (z. B. hold-to-run, vorrücken oder tippen).
     

Weitere erwähnenswerte Neuerungen der künftigen Normenausgabe zur EN ISO 13855 sind u.a. folgende Punkte: 

  • Wenn der Zugang einer Person unterhalb des Schutzfeldes verhindert werden soll, darf der Abstand maximal ≤ 200 mm von der Bezugsebene betragen. Im industriellen Umfeld ist eine maximale Höhe von 300 mm für die Unterkante des Schutzfeldes zulässig, sofern die Ergebnisse der Risikobeurteilung zeigen, dass dies ausreichend ist. Auch hier wird die Bedeutung der Risikobeurteilung betont.
  • Bei vertikal zur Bezugsebene angebrachten BWS (berührungslos wirkende Schutzeinrichtung) ist der Abstand GD, der die Möglichkeit des Hintertretens definiert, nach der Formel in Nummer 4.3.3.2 zu berechnen.
  • Beispiele für die Berechnung der Öffnungsweite für Anwendungen mit Scharnierschaltern wurden hinzugefügt.
  • Der Zuschlag für den Sicherheitsabstand bei Zweihandschaltungen ohne Abdeckung wurde von C = 250 mm auf DDS = 550 mm erhöht.
  • Dem Thema „Hinüberreichen über ein vertikales Schutzfeld“ und „Hindurchreichen durch ein Schutzfeld“ wurde viel Aufmerksamkeit gewidmet und durch einige Bilder und Tabellen veranschaulicht. 
Fazit

Der Maschinenkonstrukteur wird bei der zukünftigen Anwendung dieser Normen voraussichtlich stark gefordert werden. Allein vom Umfang her haben die beiden Normen deutlich zugenommen und stellen damit den überarbeiteten Stand der Technik dar – die beiden Vorgängernormen datieren aus den Jahren 2013 bzw. 2010, was möglicherweise die deutliche Zunahme an Seitenzahlen erklären dürfte. In den beiden neuen Ausgaben wird auch die Bedeutung der Risikobeurteilung hervorgehoben, aus der der Konstrukteur zukünftig Kenngrößen ermitteln und ableiten muss, die dann direkten Einfluss auf die Auswahl und Dimensionierung dieser Schutzeinrichtungen haben.

Tipp: Unmittelbar nach Veröffentlichung der nationalen Ausgaben von Austrian Standards (ÖNORM) werden diese Dokumente in unsere Normenpakete "Maschinensicherheit" bzw. "Maschinensicherheit PLUS" aufgenommen. Diese Sammlungen umfassen besonders häufig genutzte Sicherheitsfachgrundnormen im ICS-Kreis "Sicherheit von Maschinen".


Verfasst am: 04.10.2024

Autor

Wolfgang Reich
Fachreferent CE-Kennzeichnung und Safexpert HTL Elektrotechnik, Schwerpunkt Energietechnik (Dipl.-HTL-Ing.),  20 Jahre Erfahrung im Bereich CE-Kennzeichnung, Maschinensicherheit, Umbau von Maschinen, Elektrotechnik und Explosionsschutz, 10 Jahre davon bei TÜV Austria und Intertek Deutschland GmbH. Vorsitzender der Meisterprüfungskommission in der Wirtschaftskammer Steiermark für Mechatronik (Automatisierungstechnik und Elektronik).

E-Mail: wolfgang.reich@ibf-solutions.com

 


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