Fachbeitrag

Neue Maschinenverordnung: Status harmonisierter Normen

Informationen zum Stand der Überarbeitung


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Derzeit sind mehr als 800 harmonisierte Normen gemäß Maschinenrichtlinie 2006/42/EG im Amtsblatt der Europäischen Union aufgeführt. Diese technischen Normen gewährleisten ein hohes Maß an Sicherheit und Schutz für die Benutzer von Maschinen und andere Personen, die den Maschinen ausgesetzt sind.

Durch die Listung als harmonisierte Norm gilt für diese Normen die Konformitätsvermutung. Das bedeutet, Anwender dieser Dokumente können davon ausgehen, dass die in den Normen beschriebenen Lösungen und Maßnahmen geeignet sind, die rechtlichen Anforderungen der Richtlinie, wofür sie von den europäischen Normungsorganisationen CEN/CENELEC im Auftrag der EU-Kommission erarbeitet wurden, zu erfüllen. Durch die Neuveröffentlichung der Maschinenverordnung im Juni 2023 wurde auch der Bedarf nach harmonisierten Normen konkretisiert. Darum geht es in dieser Kurzinformation. 
 

Geänderte Anforderungen im Zuge der Maschinenverordnung

Die meisten rechtlichen Anforderungen der Maschinenrichtlinie finden sich auch in der neuen Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 wieder. Im Zuge der Überarbeitung haben sich jedoch auch geänderte bzw. gänzlich neue Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen (kurz: EHSRs, essential health and safety requirements) ergeben, wie z. B. „Schutz gegen Korrumpierung“ (Anhang III, 1.1.9) oder „Risiko des Kontakts mit stromführenden Freileitungen“ (Anhang II, 3.5.4.), so dass harmonisierte Normen zumindest überprüft und ggf. an die neuen Anforderungen der Verordnung angepasst werden müssen. Einen Überblick über die wichtigsten Änderungen der neuen Rechtsvorschrift 2023/1230 finden Sie in unserem Fachbeitrag zur neuen Maschinenverordnung. 

Bereits im ersten Entwurf der neuen Maschinenverordnung 2021, der zur öffentlichen Kommentierung veröffentlicht wurde, wurde das Thema harmonisierte Normen kommuniziert. In einem Positionspapier haben CEN/CENELEC auf die Schwierigkeit hingewiesen, innerhalb der von der EU-Kommission gesetzten Frist bis zum Inkrafttreten (30 Monate) alle harmonisierten Normen an die neuen Anforderungen anzupassen. Zu diesem Zeitpunkt wurde noch eine Verlängerung der Frist von 30 auf 36 Monate vorgeschlagen, die jedoch bei der endgültigen Veröffentlichung der Verordnung im Juni 2023 nicht berücksichtigt wurde.


Konformitätsvermutung nach Maschinenrichtlinie = Konformitätsvermutung nach Maschinenverordnung?

Ende 2023 hat diese geplante Anpassung der harmonisierten Normen nun eine neue Wendung genommen: Nach derzeitigem Stand wird die EU-Kommission für alle Normen, die derzeit unter der Maschinenrichtlinie im EU-Amtsblatt gelistet sind, auch die Konformitätsvermutung nach der Maschinenverordnung in vollem Umfang bescheinigen - sofern sie die gleichen EHSRs abdecken, die in beiden Rechtsvorschriften kommuniziert werden.1 Neu hinzugekommene Anforderungen können diese Dokumente natürlich nicht ohne Überarbeitung erfüllen, weshalb die Listung dieser Dokumente im EU-Amtsblatt mit Einschränkungen als Zwischenlösung diskutiert wird.2 Diese Form der Veröffentlichung hat sich bereits in der Vergangenheit bewährt, wenn z.B. einzelne Normenabschnitte von der Vermutungswirkung ausgenommen werden.

Die Überprüfung wird nach Angaben des Herausgebers CEN/CENELEC über das Jahr 2024 im Rahmen einer sogenannten „Gap-Analyse“ erfolgen. Die einzelnen technischen Komitees, welche mit der Erstellung harmonisierter Normen nach Maschinenverordnung beauftragt wurden, sollen so die Änderungen in den EHSRs für ihre Normen überprüfen und im Rahmen eines von der Kommission festgelegten Zeitrahmens einbringen.3
Die Überprüfung aller heute nach der Maschinenrichtlinie im EU-Amtsblatt veröffentlichten Normen soll bis spätestens Ende 2026 abgeschlossen sein, so dass kurz vor dem Stichtag 20.1.2027 ein Durchführungsbeschluss mit einer vollständigen Liste der harmonisierten Normen nach der Maschinenverordnung vorliegt. Die von den Komitees herausgearbeiteten „gaps“ könnten dann als Einschränkungen im Rahmen des Beschlusses im Amtsblatt aufscheinen.

Neben dem Auftrag zur Überprüfung umfasst der Normungsauftrag auch die planmäßige Revision bestehender Normen. Im Zuge dieser Überarbeitung sollen die technischen Komitees neben den EHSRs nach Maschinenrichtlinie auch die Anforderungen der Maschinenverordnung berücksichtigen. Zudem schließt der Normungsauftrag die Erstellung neuer harmonisierter Normen speziell für die neu hinzugekommenen Anforderungen der MVO, wie z. B. Cybersicherheit, KI oder additive Fertigung.

Neuveröffentlichungen Europäischer Normen, die vor dem Stichtag 20.1.2027 erscheinen, müssen dann (noch) die Anforderungen beider Regelwerke abdecken. Diese Dokumente werden voraussichtlich neben dem bisherigen Anhang ZA (Verweis einer Europäischen Norm auf die abzudeckenden EHSRs der Richtlinie 2006/42/EG) auch einen Anhang ZB für die Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 enthalten. Dieser doppelte Anhang dürfte den Normenanwendern noch aus der letzten Revision der Maschinenrichtlinie 98/37/EG bekannt sein.

Entwurf eines Normungsauftrags an CEN/CENELEC

Die Europäische Kommission hat am 4.7.2024 den Entwurf eines Normungsauftrags veröffentlicht. Dieser an CEN/CENELEC gerichtete Beschluss soll künftige Mandate zur Erstellung harmonisierter Normen (hEN) nach der Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 abdecken.

Übergeordnetes Ziel des Normungsauftrages ist die Anknüpfung an das bisherige Mandat zur Erstellung harmonisierter Normen nach der Maschinenrichtlinie. So sollen solche Normen künftig auch nach der Maschinenverordnung ein hohes Schutzniveau für Sicherheit und Gesundheit gewährleisten. Dabei geht der Normungsauftrag auch explizit auf Schnittstellen zu anderen Regelwerken ein:

  • Der geplante Cyber Resilience Act (CRA) legt horizontale Anforderungen an die Cybersicherheit von Produkten mit digitalen Elementen fest. Harmonisierte Normen, die den grundlegenden Anforderungen des CRA dienen, sollen laut Normungsauftrag auch an die Anforderungen der Maschinenverordnung angepasst werden.
  • Die Verordnung (EU) 2024/1689 zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz definiert unter anderem Anforderungen an das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von KI-Systemen mit hohem Risikopotenzial. In Bezug auf Maschinen sind dies Systeme, die Sicherheitsfunktionen gewährleisten und deren Verhalten sich ganz oder teilweise durch maschinelles Lernen selbst entwickelt. Bei der Erarbeitung dieser harmonisierten Normen sollten die horizontalen Anforderungen des AI-Act ebenfalls berücksichtigt werden.

Zur Erfüllung des Normungsauftrags sollen CEN und CENELEC harmonisierte Normen entsprechend den abzudeckenden Anforderungen der MVO erstellen. Dabei ist, wie oben dargestellt, zu berücksichtigen, inwieweit diese Normen die mit der MVO neu eingeführten EHSRs oder bereits in der Maschinenrichtlinie festgelegte Anforderungen erfüllen sollen.

Der detaillierte Anhang des Normungsauftrags, der alle zu erfüllenden Sicherheitsanforderungen der MVO auflistet, ist daher in zwei Gruppen unterteilt:

Anhang I konzentriert sich auf die mit der MVO neu hinzugekommenen Produktkategorien bzw. Technologiefelder, deren Sicherheitsziele durch NEUE harmonisierte Normen abgedeckt werden sollen. Diese Normen müssen im Wesentlichen folgende Kriterien erfüllen und bis spätestens 20.1.2026 von CEN bzw. CENELEC verabschiedet worden sein:

  1. Normen zu horizontalen Fragen der Risikominderung und der Sicherheit von Maschinen, speziell für Risiken neu entstehender Technologien sowie innovativer Produktkategorien, die nicht durch bestehende harmonisierte Normen abgedeckt sind
  2. Normen für Maschinen mit vollständig oder teilweise selbstentwickelndem Verhalten oder deren Sicherheitsfunktionen durch Sicherheitsbauteile oder -systeme gesteuert werden, die sich ganz oder teilweise selbst weiterentwickeln
  3. Normen für Sicherheitsfunktionen, die u. a. auf externen Verbindungen, Software oder Daten beruhen und einen Schutz vor Korrumpierung gewährleisten
  4. Normen für autonome mobile Maschinen, mit oder ohne Überwachungsfunktion

Anhang II listet die seit der MRL bestehenden Produktkategorien bzw. Technologiefelder auf, deren Sicherheitsziele durch eine Überarbeitung BESTEHENDER harmonisierter Normen erreicht werden, die bereits die Konformitätsvermutung nach der MRL im Rahmen des Durchführungsbeschlusses 2023/1586 erfüllen. Bis ebenfalls spätestens 20.1.2026 sollen CEN und CENELEC hierfür geltende Normen bestätigen oder Nachfolgenormen verabschieden, die zur Abdeckung dieser bestehenden und künftigen Anforderungen vorgesehen sind.

 

Ausblick

Derzeit ist dieser Entwurf von der Europäischen Kommission weder angenommen noch genehmigt - die Inhalte können sich also bis zur endgültigen Veröffentlichung noch ändern. 6 Monate nach der endgültigen Veröffentlichung dieses Mandats müssen CEN und CENELEC der EU-Kommission den Entwurf des gemeinsamen Arbeitsprogramms vorlegen, in dem dann bereits erste Details zu den neuen bzw. überarbeiteten Normen zu finden sein sollten. Interessant ist in jedem Fall die Vorgabe eines zeitlichen Rahmens: Bei der fesgelegten Verabschiedung der hENs  durch CEN/CENELEC Anfang 2026 würden die Normen voraussichtlich bis Mitte 2026 veröffentlicht werden, danach können Anwender die Normen von den nationalen Instituten käuflich erwerben. Danach verbleiben noch 6 Monate bis zur Veröffentlichung der Normen im EU-Amtsblatt nach MVO, die bis spätestens Ende 2026 vorgesehen ist. 

Zudem geht der Entwurf auf das am 5.3.2024 gefällte Urteil in der Causa "Malamud" ein, wonach der Zugang zu harmonisierten Normen als Teil des Unionsrechts kostenlos sein muss. Demnach können die hENs Gegenstand von Anträgen auf Zugang zu Dokumenten gemäß der Verordnung (EU) 1049/2001 sein. In diesem Fall muss der Zugang zu diesen Normen gewährt werden. Ein öffentlicher Zugang im Rahmen solcher sogenannter "readibility platforms" ist noch nicht eingereichtet, weitere Informationen zum Urteil finden Sie in unserem Fachbeitrag "EuGH-Urteil: harmonisierte Normen im EU-Amtsblatt".
 

Download des Normungsauftrags

Den Volltext des Entwurfs über einen Normungsauftrag können Sie über folgenden Link öffnen und herunterladen:


Draft standardisation request machinery regulation
 

Produkthinweise

In unserem Webinar „Umstieg auf die neue Maschinenverordnung“ informieren wir Sie kompakt über die relevanten Neuerungen zur neuen Maschinenverordnung. Als Seminarteilnehmer werden Sie im Nachgang per Mail informiert, sobald sich interessante Neuerungen ergeben!

 

Seit Juli 2024 behandelt unser 2-tätiges Seminar Effiziente CE-Kennzeichnung und Risikobeurteilung von Maschinen und Anlagen sowohl die Anforderungen nach Maschinenrichtline als auch nach der neuen Maschinenverordnung. Hierbei gehen unsere Referenten selbstverständlich auch auf das Thema harmonisierte Normen ein.


Fußnote:
1 Siehe CEN/CENELEC Webinar zur neuen MVO

2 Siehe KAN Brief 03/2023 der Kommission für Arbeitsschutz und Normung
3 Siehe CEN/CENELEC Webinar "Gap-Analysis"


Verfasst am: 10.07.2024 (letzte Aktualisierung)

Autoren

Christian Aumann, Dipl.-Ing. (FH)
Produktmanager bei IBF Solutions und Fachreferent für CE-Kennzeichnung und Safexpert. 15 Jahre Erfahrung als ausgebildeter Sicherheitsingenieur in der mechanischen Konstruktion im Sondermaschinenbau und insbesondere in der Umsetzung der Maschinen- und ATEX-Richtlinie sowie der Erstellung von Risikobeurteilungen. Studium der Produktions- und Automatisierungstechnik an der OTH Regensburg.

E-Mail: christian.aumann@ibf-solutions.com | www.ibf-solutions.com

Daniel Zacek-Gebele, MSc
Produktmanager bei IBF für Zusatzprodukte sowie Datenmanager für die Aktualisierung der Normendaten am Safexpert Live Server. Studium der Wirtschaftswissenschaften in Passau (BSc) und Stuttgart (MSc) im Schwerpunkt International Business and Economics.

E-Mail: daniel.zacek-gebele@ibf-solutions.com | www.ibf-solutions.com

 


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