Dieser Fachbeitrag behandelt die Verantwortung und Haftung von "CE-Zuständigen", unabhängig von der Stellenbezeichnung (CE-Beauftragte, CE-Koordinatoren, CE-Manager, Product Compliance Manager, ...).Am Ende jedes Kapitels finden Sie eine kurze Auflistung der jeweiligen Kernpunkte.
In Unternehmen gibt es viele Personen mit Aufgaben im CE-Bereich (Überblick: Beitrag "Verantwortung und Haftung im CE-Prozess"). Für spezielle „CE-Kümmerer“ gibt es in der Praxis unterschiedliche Namen: CE-Beauftragte, CE-Koordinatoren, CE-Managerinnen, Product Safety Manager oder Product Compliance Manager – um nur einige zu nennen.
Es gibt keine Rechtspflicht zur Installation einer solchen Position. Das Gesetz kennt keinen Posten mit konkret festgelegten CE-Aufgaben. Unternehmen können einen solche CE-Stelle einrichten, müssen es aber nicht. Gesetzlich zwingend sind nur:
Die EG-Konformitätserklärung für Maschinen muss Name und Anschrift der Person enthalten, „die bevollmächtigt ist, die technischen Unterlagen zusammenzustellen“. Aufgabe dieser Person ist aber nur die „Zusammenstellung“ und „Bereitstellung“1. Die exakte Job-Beschreibung ist daher: „CE-Dokumentationszusammenstellungs-Beauftragte“. Die EU-Kommission trennt in ihrem Leitfaden zur Maschinenrichtlinie folgerichtig und deutlich zwischen der Zusammenstellung und anderen Aufgaben – etwa der Erstellung der Unterlagen: „Die Person, die bevollmächtigt ist, die technischen Unterlagen zusammenzustellen, ist in dieser Funktion nicht für Konstruktion, Fertigung oder Konformitätsbewertung der Maschine, für die Erstellung der in den technischen Unterlagen enthaltenen Dokumente, für die Anbringung der CE-Kennzeichnung oder für die Ausstellung und Unterzeichnung der EG-Konformitätserklärung zuständig“. Natürlich können tatsächlich Konstrukteure oder Abteilungsleiterinnen – oder eben CE-Stellen – in Personalunion auch die Zusammenstellungsbevollmächtigten sein. Aber dann muss rechtlich für die Frage der damit verbundenen Sicherheitspflichten, der Verantwortung und der Haftungsrisiken genau zwischen den verschiedenen Funktionen der Unternehmensbeschäftigten unterschieden werden.
Anzumerken ist, dass es sich bei der Person, die "zur Zusammenstellung der technischen Unterlagen bevollmächtigt ist" entsprechend dem Leitfaden zur Maschinenrichtlinie (§383) auch um eine juristische Person, also z.B. das Unternehmen selbst oder einen externen Dienstleister handeln kann. Details dazu erhalten Sie in einem bereits in Vorbereitung befindlichen Beitrag.
Die Unternehmensleitung kann alle erforderlichen Compliance- und Koordinationsaufgaben selbst übernehmen und organisieren. Wenn es im Unternehmen keine „CE-Kümmerer“ gibt, mag die Umsetzung der CE-Pflichten tatsächlich kümmerlich sein, rechtlich ist dann aber die Unternehmensleitung von Gesetzes wegen selbst zuständig. Die Geschäftsführung ist das „geborene“ CE-Management. Das liegt an der Verantwortung der Chefs für Alles – also auch die Erledigung aller CE-Pflichten: Unternehmensleiter sind „kraft ihrer Amtsstellung grundsätzlich für alle Angelegenheiten der Gesellschaft zuständig“ – und der „vom Gesetz vorgesehenen Allzuständigkeit des Geschäftsführers“ entspricht eine „umfassende Verantwortung für die Belange der Gesellschaft“2. CE ist im Ausgangspunkt Chefsache (siehe den Beitrag "CE ist Chefsache – So reduzieren Geschäftsleiter ihr Haftungsrisiko").
Fußnoten:1EU-Kommission, Anwenderleitfaden Maschinenrichtlinie, 2. Aufl. 2017, § 383.2BGH, Urteil v. 15.10.1996 (Az. VI ZR 319/95).
Obwohl das Gesetz eine spezielle CE-Stelle nicht kennt und nicht zu ihrer Benennung verpflichtet, kann sie in der Unternehmenspraxis sinnvoll sein. Es gibt nur keine gesetzlichen Aussagen dazu, was dieser Posten bedeutet und welche Aufgaben mit ihm verbunden sind. Damit hat die allzuständige Unternehmensleitung (siehe 1.3) unternehmerische Freiheit bei der Compliance- und CE-Organisation. Das Unternehmen kann entscheiden, was der Stelleninhaber tun muss – was also seine Pflichten sind (siehe 5). Es stehen hierzu zwei Wege zur Verfügung: formal auf Papier (2.1) oder informell durch Praxis (2.2).
Unternehmen können durch Festlegung der Pflichten weitgehende Klarheit zur Compliance-Organisation schaffen. Art. 5 der EG-Maschinenrichtlinie betont, der Hersteller muss für das Konformitätsbewertungsverfahren „über die notwendigen Mittel verfügen oder Zugang zu ihnen haben, um sicherzustellen, dass die Maschine die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen erfüllt“. Zu den erforderlichen Mitteln gehören auch „die benötigten qualifizierten Mitarbeiter“3. Das ist letztlich eine Aufforderung, sich des personenbezogenen Gestaltungsspielraums bewusst zu sein, über dieses Personal, die Qualifikationen und den Pflichtenumfang nachzudenken und insoweit auch Grundsätze festzulegen:
Jede Pflichtenübertragung – etwa in Bestellungsurkunden oder Stellenbeschreibungen – ist dabei übrigens auch eine Pflichtenbegrenzung: „Angemessene Kompetenzen sind einerseits die Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Bewältigung der Stellenaufgabe, andererseits grenzen sie den Handlungsspielraum des Stelleninhabers ein“5.
Die Pflichten und die Verantwortlichkeiten der CE-Kümmerern bestimmen sich nach der informellen und „gelebten“ Organisation,
Entscheidend ist immer auch die „gelebte Organisation“, also die wirkliche Wahrnehmung einer Aufgabe. Entscheidend ist – so der BGH6 – „allein die tatsächliche Übernahme des Pflichtenkreises, nicht (auch) das Bestehen einer entsprechenden vertraglichen Verpflichtung“ (siehe den Beitrag "Verantwortung und Haftung im CE-Prozess"). Die Rechtsprechung bringt häufig einen weiteren Begriff ins Spiel: Die „Verkehrssicherungspflicht knüpft an typischerweise Gefahren reduzierende soziale Rolle, die hierauf vertrauende Verkehrserwartung und die tatsächliche Wahrnehmung der Aufgabe, nicht an den Vertrag“7. Soziologisch beinhaltet eine soziale Rolle – so Niklas Luhmann in seiner Schrift „Der neue Chef“ – „generalisierte Verhaltenserwartungen“. Exakt das gilt auch – und wegen des Sicherheitsbezugs: besonders – für CE-Beauftragte oder Koordinatoren. Es geht eben nicht nur – bürokratisch – um schriftlich adressierte Pflichten, sondern um – bedeutsame – „Rechtserwartungen“ zum Personenschutz, die vorab durch Festlegungen abgestimmt (oben 2.1) oder sonst nach einem Unfall oder Schaden aus der Handhabung (hier 2.2) abgeleitet werden. Kein Urteil verdeutlicht das klarer als dieser auf den Bereich der CE-Compliance übertragbare Fall aus Hamburg: Nachdem ein Neugeborenes auf einer GS-gekennzeichneten, aber defekten Wärmematte zu Tode gekommen war, verurteilte das Amtsgericht eine Fachkraft für Arbeitssicherheit eines Krankenhauses – trotz ihrer Stabsfunktion – wegen fahrlässiger Tötung: „Ob die Begutachtung der allgemeinen Gerätesicherheit ohnehin zu den dienstvertraglichen Pflichten des Angeklagten gehörte oder eines besonderen Auftrags bedurfte und arbeitsvertraglich wirksam war, ist für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten irrelevant. Seine Verantwortlichkeit ergibt sich daraus, dass er tatsächlich die ihm übertragenen Aufgaben wahrgenommen hat“. Und: „Tatsächlich ist er als Beschäftigter des Krankenhauses aufgrund seiner besonderen beruflichen Qualifikation als Ingenieur für physikalische Technik von der kaufmännischen Leitung zumindest hinsichtlich des hier in Rede stehenden Gerätesystems beauftragt worden, zur allgemeinen Gerätesicherheit Stellung zu nehmen ”. Das Landgericht Hamburg fasste die Verantwortung prägnanter zusammen: „Durch diesen Einzelauftrag hatte sich sein beruflicher Aufgabenkreis erweitert“8.
Fußnoten:3EU-Kommission, Leitfaden Maschinenrichtlinie, 2. Aufl. 2010, § 1054Zu ihrer Bedeutung Wilrich, Sicherheitsverantwortung – Arbeitsschutzpflichten, Betriebsorganisation und Führungskräftehaftung (2016).5Dietmar Vahls, Organisation – Ein Lehr- und Managementbuch, 10. Aufl. 2019, 4.1, S. 626BGH, Urteil v. 31.01.2002 (Az. 4 StR 289/01): Wuppertaler Schwebebahn.7OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 09.11.2005 (Az. 1 U 119/05): Fall Nr. 28 „Gerüststurz Gießen“ in Wilrich, Bausicherheit – Arbeitsschutz, Baustellenverordnung, Koordination, Bauüberwachung, Verkehrssicherungspflichten und Haftung der Baubeteiligten, 2021, S. 255 ff.8Umfassende Analyse dieses Falles in Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht – Haftung für fahrlässige Arbeitsunfälle: Sicherheitsverantwortung, Sorgfaltspflichten und Schuld, 2020, Fall 33, S. 333 ff.
Wie immer ist auch für alle CE-Positionen bei der Frage der Verantwortung zu unterscheiden zwischen ihrem Tun und ihrem Unterlassen (siehe den Beitrag „Grundlagen zu Verantwortung und Haftung im CE- und Produktentwicklungsprozess“.
Handlungsverantwortung hat grundsätzlich jeder jederzeit jederorts in jedweder Situation. In den Worten eines Gerichtsurteils und umformuliert für den CE-Bereich gilt also: „Grundsätzlich muss jeder CE-Beauftragte – ohne Rücksicht auf etwaige Anweisungen des Auftraggebers – seine Aufgaben so erfüllen, dass weder aus der Ausführungstätigkeit noch aus dem hergestellten Werk Gefahren für Dritte entstehen“9.
Entscheidend für den Umfang der Verantwortung ist aber nicht nur, was der CE-Beauftragte tun muss, sondern auch was er unterlässt. Das bestimmt sich nach § 13 StGB (D) bzw. § 2 StGB (AT) bzw. Art. 11 StGB (CH). Leider sind Ausmaß und Grenzen dieser Verantwortung sehr unscharf. Der Umfang der Garantenstellung hängt „letztlich von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab; dabei bedarf es einer Abwägung der Interessenlage und des Verantwortungsbereichs der Beteiligten“10. Entscheidend für die Reichweite der Garantenverantwortung sind die Befugnisse, die CE-Kümmerern formell übertragen sind (siehe 2.1) oder die informell wahrgenommen werden (siehe 2.2 und 3.1) und es gilt: Keine Verantwortung ohne Befugnisse; aber auch umgekehrt: Keine Befugnis ohne daraus folgende Handlungspflicht und daraus folgende Verantwortung. In seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel „Die Entscheidung liegt bei Dir“ schreibt Reinhard Sprenger: „Denn die Freiheit, entscheiden zu können, beinhaltet auch den Zwang, entscheiden zu müssen“.
Fußnoten:10BGH, Urteil v. 12.01.2010 (Az. 1 StR 272/09) – Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall.
Die erste wichtige Weichenstellung bei CE-Beauftragten und Koordinatoren ist, ob sie „nur“ beraten und unterstützen und damit Stabsstelle sind, oder ob und wie weit sie auch anordnen und durchsetzen können und das dann auch müssen, weil alle Befugnisse (Garanten ) Verantwortlichkeiten zur Folge haben (siehe oben 3.2 und ausführlich den Beitrag „Einfluss von Funktion und Position im Unternehmen auf CE-Pflichten“).
Mindestens müssen alle CE-Kümmerer unterstützen. Weniger als diese Unterstützungsaufgaben sind nicht denkbar. Es heißt dann häufig, damit seien sie nicht verantwortlich. Vergessen wird dabei, dass jeder Berater und Unterstützer ausnahmslos und zwangsläufig als Garant für sein Unterlassen verantwortlich ist – aber eben beschränkt auf die übernommene Beratungs- und Unterstützungsaufgabe. So betonte das Amtsgericht Kehl11 bei einer Fachkraft für Arbeitssicherheit ihre Pflicht gemäß § 6 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), „den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung zu beraten, die Durchführung des Arbeitsschutzes zu beobachten und festgestellte Mängel mitzuteilen, Maßnahmen zur Beseitigung der Mängel vorzuschlagen und auf deren Durchführung hinzuwirken“ und warf ihr einen „Sorgfaltsverstoß“ vor, „entweder den einmal wöchentlich stattfindenden Arbeitsablauf nicht richtig zur Kenntnis genommen oder ihn zur Kenntnis genommen und die ihm obliegenden Pflichten als Fachkraft für Arbeitssicherheit nicht in Konsequenzen umgesetzt“ zu haben.
Wem betriebsintern nicht nur Unterstützungsaufgaben, sondern Entscheidungs- und Leitungsbefugnisse übertragen sind, hat eine Linienfunktion in der Unternehmenshierarchie und ist im Rahmen dieser Befugnisse Garant mit Um- und Durchsetzungspflicht. Möglich ist auch eine Doppelfunktion – etwa Abteilungsleiter in der Linie und damit umsetzungspflichtig in dieser Abteilung plus CE-Beauftragter als Stab mit Unterstützungspflichten für alle anderen Abteilungen. Es gibt drei Möglichkeiten, wie man eine Linienfunktion bekommt:
Wenn ein Aufgabenkatalog für eine solche Stabsstelle mit Beratungs- und Unterstützungsfunktion festgelegt werden soll, ist insbesondere auf die zutreffenden Verben zu achten. Denn das sind Tu- bzw. Tun-Wörter, aus denen sich am klarsten herauslesen lässt, was gemacht werden muss. Für eine Stabsfunktion müsste es in der Bestellungsurkunde oder Stellenbeschreibung etwa „beraten“ und „unterstützen“ heißen. Wenn von „erstellen“ (etwa einer Risikobeurteilung) die Rede ist, deutet das auf eine Linienfunktion mit Umsetzungspflicht hin, denn wer erstellt, der ist Macher und gerade nicht nur Helfer. Auch wenn es heißt, der CE-Beauftragte müsse „Prozesse verwirklichen“12 ist das eine Linienfunktion. Wenn er – etwa durch die Erstellung von Prozess- oder Verfahrensanweisungen (siehe 5.1) – Prozesse „einführen“ muss, ist das zwar einerseits auch keine reine Unterstützungsfunktion, aber andererseits auch keine Pflicht zur Umsetzung des Produktsicherheitsrechts, sondern „nur“ dessen Vorbereitung.
Auch die Stellenbezeichnung kann ein erstes Indiz sein, was für eine Position gewollt ist:
Aus unserer Sicht ist die Stellenbezeichnung CE-Koordinator passend, weil so eine wesentliche Funktion benannt, aber auch das Aufgabenspektrum begrenzt ist, weil koordinieren nicht persönliches kümmern um alle Dinge bedeutet. Das Rollenverständnis eines „CE-Allzuständigen“ ist leider in der Praxis immer wieder anzutreffen – insbesondere im Management. Rechtlich dagegen bringt der Titel CE-Beauftragter am ehesten die Stabsfunktion zum Ausdruck.
Fußnoten:11Fallbesprechung „Schlackenkübel“ in Wilrich, Verantwortung und Haftung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit – Beratungs-, Unterstützungs-, Prüfungs- und Warnpflichten der Sicherheitsingenieure als Stabsfunktion (2021).12So Schator, Europäisches Maschinenrecht, 2015, Rn. 382, S. 24413Siehe Wilrich, Arbeitsschutzverantwortung für Sicherheitsbeauftragte: Bestellung, Rechtsstellung, Pflichten und Haftung als Vertrauenspersonen und Beschäftigte – Grundwissen Arbeitssicherheit, Führungspflichten und Unternehmensorganisation (2021); Wilrich, Verantwortung und Haftung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit – Beratungs-, Unterstützungs-, Prüfungs- und Warnpflichten der Sicherheitsingenieure als Stabsfunktion (2021).14Ausführlich Wilrich, Bausicherheit – Arbeitsschutz, Baustellenverordnung, Koordination, Bauüberwachung, Verkehrssicherungspflichten und Haftung der Baubeteiligten (2021).15Duden, Fremdwörterbuch. 7. Aufl. 2001; Bedeutungswörterbuch, 3. Aufl. 2002.16BGH, Urteil v. 17.06.2009 (Az. 5 StR 394/08).
Aufgaben können vereinbart und festgelegt werden oder einfach begonnen und erledigt werden – und der zweite Weg bedeutet nicht weniger Verantwortung als der zu empfehlende Weg der Schriftlichkeit.
Erste Kernfrage bei der Festlegung der Aufgaben ist, was denn nun im Einzelnen von CE-Beauftragten oder Koordinatoren erledigt werden soll.
CE-Beauftragte haben eine Beratungs- und Unterstützungspflicht – bezogen auf die Pflicht des Herstellers zur Umsetzung des CE- und Produktsicherheitsrechts und der Erfüllung der Produktanforderungen.
Der Grundaussage zur Beratung und Unterstützung durch Sicherheitsfachkräfte folgt in § 6 ASiG eine Liste mit Einzelpflichten, die „insbesondere“ zu erfüllen sind. Man kann das eher wertneutral deuten als nicht abschließende und „nur“ informative und helfende Beispielsliste, aber es auch so verstehen, dass es besonders wichtige und hervorgehobene Aufgaben sind. Wenn für CE-Beauftragte in einer „Insbesondere“-Liste einzelne Pflichten beschrieben sind, muss man wissen, dass – etwa nach einem Unfall oder Schaden und als Vorwurf – gesagt werden könnte: Das hätte doch ganz zentral erledigt werden müssen!
Eine entscheidende Frage wird sein, wie weit die Beauftragten oder Koordinatoren angesprochen und „angefordert“ werden („Holschuld“) und inwieweit sie – und vor allen Dingen wann – von sich aus tätig werden und sich „aufdrängen“ müssen („Bringschuld“)?
Einerseits heißt es, es ist der „CE-Koordinator hinzuzuziehen“23 – das ist den Linienverantwortlichen auch zu empfehlen. So schreibt für die Arbeitssicherheit § 16 Abs. 2 ArbSchG allen Beschäftigten vor, „von ihnen festgestellte Gefahren für Sicherheit und Gesundheit und Mängel an den Schutzsystemen auch der Fachkraft für Arbeitssicherheit mitteilen“.
Andererseits ist letztlich jede „Kommunikation eine Bringschuld“24. Ein CE-Experte „soll sich nicht darauf beschränken, auf Aufforderungen und Anfragen zu reagieren, sondern soll selbst aktiv werden“25. Es wird bedauert, dass „offensichtlich die gesetzlich vorgegebene Bringschuld der Arbeitsschutzberater noch nicht überall Eingang in die betriebliche Praxis gefunden hat“26 und von einem „geradezu ignoranten Verständnis übergreifender Prozesse“ gesprochen27.
CE-Beauftragte dürfen nicht nur darauf warten, angefordert zu werden, sondern müssen in gewissen Ausmaß auch selbst tätig werden und haben „Bringschulden“. Insbesondere die Kontrollpflicht ist eigenverantwortlich zu „erbringen“ und nicht von den Linienverantwortlichen zu „erbeten“.
Für den CE-Beauftragten wird auch eine Kontrollpflicht festgelegt sein (siehe 5.1) – und wenn sie nicht festgelegt ist, werden Gerichte sie im Ernstfall als Teil seiner sozialen Rolle (siehe 2.2) definieren und diktieren. Und Kontrolle ist definitionsgemäß „aufdrängend“ und insofern eine Bringschuld. Und wenn man dann Korrekturbedürftiges bemerkt, bedarf das eines „kraftvollen“ Tätigwerdens:
Dass CE-Beauftragte
Jeder CE-Beauftragte muss „korrekt und komplett und kraftvoll“ unterstützen.
Der Ausgangspunkt ist klar: Dass CE-Beauftragte vollständig beraten müssen, kann nicht im Grundsatz bestritten werden. Man kann nicht sagen: „es sind so viele Dinge zu tun, also habe ich nur eine Rechtspflicht, bei 80 % der Dinge zu unterstützen“. Das Problem ist: Der zeitliche Arbeitsumfang ist unvermeidbar begrenzt und man kann nicht 25 Stunden am Tag an 8 Tagen in der Woche unterstützen. Die Begrenztheit der Ressource Arbeit erfordert eine Auswahl – und eine Abwägung im Sinne einer Bevorzugung bestimmter und eine Zurückstellung anderer Bereiche, die einer Bearbeitung bedürfen – und damit eine Schwerpunkt- bzw. Prioritätensetzung. Das Argument und die Lösung kann also nur sein: „es waren so viele Dinge zu tun, also habe ich meine Kraft vollständig genutzt und zu 100% in diese 80 % der Dinge gesteckt, die vorrangig zu tun waren“. Auch der BGH hatte schon Verständnis und gesagt, der „Pflicht, die übertragenen Aufgaben zu erledigen, sind durch die Arbeitsfähigkeit Grenzen gesetzt“; es ist „keiner verpflichtet, über seine Leistungsfähigkeit hinaus zu arbeiten“28. Für Sicherheitsfachkräfte deutet § 6 Nr. 4 ASiG an, dass sie kraftvoll beraten müssen. Sie haben „darauf hinzuwirken, dass sich alle im Betrieb Beschäftigten den Anforderungen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung entsprechend verhalten, insbesondere sie über die Unfall- und Gesundheitsgefahren, denen sie bei der Arbeit ausgesetzt sind, sowie über die Einrichtungen und Maßnahmen zur Abwendung dieser Gefahren zu belehren und bei der Schulung der Sicherheitsbeauftragten mitzuwirken“. Man kann „Hinwirkung“ als Berstung und Empfehlung mit Nachdruck (mit verbalem „Fußtritt“) verstehen29. Niemals ist mit solchen Tu-Wörtern nämlich zum Ausdruck gebracht, wie und mit wieviel Nachdruck man wirken muss bzw. wie wirksam das sein muss. Dass ist eine der größten und unvermeidlichen Schwierigkeiten und Unbestimmtheiten bei jeder Beratungs- und Unterstützungspflicht. Im Wärmematten-Fall (siehe 2.2) haben die Strafgerichte einer Fachkraft für Arbeitssicherheit vorgeworfen, „den Ernst der Lage nicht hinreichend klar gemacht“ zu haben: er hätte „darauf drängen müssen, dass die Matten bis zur Nachrüstung aus dem Verkehr gezogen werden“ und seine Pflichtverletzung ist, „dass er nicht mit Nachdruck auf die Stilllegung der Wärmematten bis zur Nachrüstung hinwirkte“. Da kein Gesetz die Rolle von CE-Personal regelt, werden Gerichte für die Beurteilung ihrer Pflichten in verwandten Rechtsbereichen – wie dem Arbeitssicherheitsrecht – Anhaltspunkte suchen und Anlehnungen machen.
Ob CE-Beauftragte oder Koordinatoren „aufgrund seines Aufgabengebereichs einem nicht unerheblichen Haftungsrisiko ausgesetzt“ sind30, muss bezweifelt werden.
Fußnoten:30So Schucht/Berger, Praktische Umsetzung der Maschinenrichtlinie, 2016, S. 160.31Die wenigen bekannten Urteile zu Sicherheitsfachkräften sind analysiert in Wilrich, Verantwortung und Haftung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Fn. 13).
Verfasst am: 16.03.2021
Prof. Dr. Thomas Wilrich Tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkthaftung, Arbeitsschutz und Warenvertrieb einschließlich der entsprechenden Betriebsorganisation, Vertragsgestaltung, Schadensersatz- und Führungskräftehaftung, Versicherungsfragen und Strafverteidigung. Er ist an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule München zuständig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik- und Unternehmensorganisationsrecht sowie „Recht für Ingenieure“.
E-Mail: info@rechtsanwalt-wilrich.de | www.rechtsanwalt-wilrich.de
Johannes Windeler-Frick, MSc ETH Geschäftsführer der IBF Solutions. Fachreferent CE-Kennzeichnung und Safexpert. Vorträge, Podcasts und Publikationen zu unterschiedlichen CE-Themen, insbesondere CE-Organisation und effizientes CE-Management. Leitung der Weiterentwicklung des Softwaresystems Safexpert. Studium der Elektrotechnik an der ETH Zürich (MSc) im Schwerpunkt Energietechnik sowie Vertiefung im Bereich von Werkzeugmaschinen.
E-Mail: johannes.windeler-frick@ibf-solutions.com | www.ibf-solutions.com
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