Normen und Standards in der Rechtssprechung

Bei der Anwendung von (sicherheits)technischen Normen stellt sich häufig die Frage, welche Bedeutung diese Dokumente vor Gericht haben, z.B. bei der Aufarbeitung von Unfällen an Maschinen oder anderen Produkten.

Die Kommission für Arbeitsschutz und Normung (KAN) hat zu diesem Thema ein Rechtsgutachten erstellt. In diesem geht der Autor auf mehrere Fragestellungen im Zusammenhang mit technischen Normen ein.
 

Vorbemerkungen

• Vorab zu erwähnen ist, dass die Studie nur Urteile untersucht. D.h. es lassen sich daraus leider nur begrenzt Aussagen über die generelle Bewertung von Normenanwendungen in vorinstanzlichen Verfahren treffen.
• Mit anderen Worten trifft das Gutachten keine Aussage darüber, inwiefern Behörden (z.B. Marktaufsichtsbehörden) oder Versicherer, etc. bei ihren Ermittlungen Normen heranziehen, sondern lediglich, wie Gerichte diesen Aspekt behandeln.
• Weiters ist zu erwähnen, dass Normen zweifelsfrei eine enorme Wissensquelle für das sicherheitstechnische Engineering darstellen und einen wesentlichen Beitrag zu sicheren Produkten liefern. Es ist für jede Person, die Maschinen oder andere Produkte konstruiert, zweifelsfrei empfehlenswert, die einschlägigen Normen heranzuziehen und anzuwenden. Dennoch zeigt die Studie auf, dass Normen eben keine Gesetze sind und dementsprechend von rechtssprechenden Institutionen, i.e. Gerichten, auch nicht als solche behandelt werden.
• Die vorliegende Studie ist daher dennoch sehr hilfreich, als dass sie z.B. hilfreichen Kontext zu Aussagen wie der nachfolgenden liefert: „Das ist nicht so wichtig, das steht nur im informativen Anhang der Norm.“
   

Kernaussagen der Studie und Interpretation für Hersteller

Im Wesentlichen liefert das Gutachten drei Kernaussagen:

1. Seitens Gerichten wird keine Unterscheidung zwischen normativem und informativen Inhalten (z.B. informative Anhänge) getroffen.
   In der Praxis hört man mitunter Sätze wie "Das steht eh nur im informativen Teil, das ist nicht so wichtig". Im Hinblick auf die Ergebnisse der Studie wird sehr deutlich, dass solche Aussagen mit äußerster Vorsicht zu betrachten sind, da Gerichte - so die Studie - hier nicht differenzieren.
2. Gerichte zitieren die Norm um die Aussage eines Gesetzes zu untermauern
   Gerichte urteilen auf Basis von Gesetzen, nicht auf Basis von Normen. Daher - so die Studie - werden Normen meist nur als zusätzliche Rechtfertigung für ein bereits anderweitig gefundenes Ergebenis herangezogen. Für Hersteller von technischen Produkten bedeutet dies also: die wichtigste zu klärende Frage ist stets, ob die Anforderungen des zugrundeliegenden Gesetzes (z.B. EU-Maschinenverordnung, Maschinenrichtlinie, Niederspannungsrichtlinie, etc.) erfüllt sind. Mit anderen Worten: Vorsicht vor blinder Normengläubigkeit. Der Nutzen in der Anwendung der Norm ergibt sich also eher aus dem Vorschlag für eine meist technisch sehr gute Lösung, um die jeweiligen Anforderungen zu erfüllen, als aus der absoluten Rechtssicherheit die vermeintlich aus einer Norm resultiert.
3. Wer an Normen mitarbeitet spielt für Gerichte meist keine Rolle
   Wie Normengremien zusammengesetzt sind und welchen Einfluss dies auf die (rechtliche) Aussagekraft von Normen hat wird i.d.R. in Urteilen nicht thematisiert. Mitunter wird die Expertise der beteiligten Personen hervorgehoben, gelegentlich werden aber auch - wenn es in die Argumentation der Gerichte passt (siehe Punkt 2) - Normen-Aussagen mit Verweis auf dem Gesetzgeber vorbehaltene Bewertungen eher heruntergespielt. 

Download der Studie und weiterführende Informationen

Die Studie wurde von der Kommission Arbeitsschutz und Normung im Dezember 2016 veröffentlicht. Über folgenden Link können Sie die gesamte Studie öffnen und herunterladen:
 

             KAN Studie: Rechtsprechung zu technischen Normen und normenähnlichen Dokumenten 
 

Wir bedanken uns bei KAN für die freundliche Genehmigung, die Studie unseren Lesern kostenlos zur Verfügung stellen zu dürfen! Weitere Informationen zur Studie sowie weiterführende Literatur zum Thema finden Sie auf der KAN-Homepage.