Haften Konstrukteure für Konstruktionsfehler persönlich? (ergänzt durch Schweizer Recht)
Persönliche Haftung von Konstrukteuren
Dieser Beitrag beleuchtet die Haftungsrisiken von Konstrukteuren aus der Sicht des Arbeits-, Schadensersatz- und Strafrechts. Dies erfolgt in juristisch seriöser Weise – ohne unnötige Übertreibungen und Verunsicherungen. Die Leser sollen in die Lage versetzt werden, ihr persönliches Haftungsrisiko und gegebenenfalls das ihrer Mitarbeiter oder Vorgesetzten realistisch einschätzen zu können. Vor allem werden aber auch Lösungsvorschläge geboten, wie das Haftungsrisiko reduziert werden kann. Eines sei hier gleich vorweg genommen: die Aussage „Konstrukteure stehen immer mit einem Bein im Gefängnis“ kann auf Basis der Rechtsprechung nur als Ammenmärchen bezeichnet werden!
Wer ist wofür verantwortlich?
Die Klärung von Verantwortlichkeiten nach einem Schadensfall ist in der Regel juristisch komplex, da die Verantwortung häufig nicht bei einer Person liegt. Abbildung 1 zeigt einige Akteure, die im Maschinen-, Anlagen- und Steuerungsbau nach einem Unfall in irgendeiner Weise in Erscheinung treten können. Die juristische Behandlung der Rollen aller beteiligten Personen würde den Umfang dieses Fachbeitrags sprengen, daher legen wir den Fokus auf die Haftungsrisiken der operativ tätigen Konstrukteure.
Persönliche Haftungsrisiken für Konstrukteure
Wenn der Konstrukteur im Produktentwicklungsprozess, etwa bei der Auswahl eines Bauteils oder bei einer Detailkonstruktion, einen Fehler macht, der zu einem Unfall und Schaden führt, gibt es Haftungsrisiken aus drei „Angriffsrichtungen“:
- Sein Arbeitgeber kann Erstattung des Schadensersatzes verlangen, den er selbst dem Geschädigten zahlen musste
- Der Geschädigte kann unmittelbar vom Konstrukteur Schadensersatz verlangen
- Der Staat kann wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung strafen
Diese verschiedenen Haftungsszenarien, deren tatsächlichen Risiken und die daraus entwickelten Empfehlungen zur Haftungsvermeidung werden in den folgenden Abschnitten im Detail dargestellt.
1. Haftung gegenüber dem Arbeitgeber
Dieser mögliche Haftungsanspruch ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag. Wenn der Hersteller, also der Arbeitgeber des Konstrukteurs, Schadensersatz geleistet hat, kann der Arbeitgeber versuchen, die Schadenssumme von seinem Mitarbeiter ersetzt zu bekommen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Mitarbeiter gegen seine Vertragspflichten verstossen hat.
Eine mögliche Pflichtverletzung liegt zum Beispiel vor, wenn ein Konstrukteur keine oder eine unzureichende Risikobeurteilung durchgeführt hat und er dadurch einen Produktfehler zu verantworten hat. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, seinen Arbeitgeber vor Schaden zu bewahren. Mit anderen Worten: jeder Konstrukteur muss fehlerfrei konstruieren. Dies bedeutet aber noch nicht, dass ein Konstrukteur im Falle eines Konstruktionsfehlers auch zwangsläufig haftet.
Haftungsrisiko eher gering
Zum Ausgleich der absoluten Pflicht zur Fehlerfreiheit ist in Deutschland der Arbeitnehmer nach ständiger Rechtsprechung durch den sog. „innerbetrieblichen Schadensausgleich“ ein Stück weit geschützt. Die Haftung ist nämlich in Abhängigkeit vom Verschuldensgrad beschränkt, wobei der Arbeitgeber das Verschulden beweisen muss und nicht der Arbeitnehmer seine Unschuld.
Grundsätzlich ist das Haftungsrisiko abhängig von der Schuldfrage, also vom Grad des fahrlässigen Handelns:
- Bei geringer Fahrlässigkeit ist die Haftung des Arbeitnehmers ausgeschlossen.
- Bei normaler Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer – recht unbestimmt – in einem Ausmaß, das nach umfassender Abwägung zu bestimmen ist. Wie dies vor Gericht ausgeht ist daher völlig offen.
- Selbst bei grober und gröbster Fahrlässigkeit ist noch eine Haftungsbegrenzung nach Billigkeitskriterien möglich, so dass meist nicht voll gehaftet wird.
- Erst bei Vorsatz – bei Wissen und Wollen nicht nur der Pflichtverletzung, sondern auch der Schadensfolgen bzw. Verletzung von Produktnutzern – haftet der Arbeitnehmer voll
Es geht letztlich um eine „Abwägung der Gesamtumstände im konkreten Einzelfall, die im Hinblick auf die Vielfalt möglicher Schadensursachen nicht abschließend bezeichnet werden können und damit um eine gerechte Risikoverteilung im Arbeitsverhältnis."
Österreich regelt das in § 2 Abs. 1 des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes:
Dienstnehmerhaftpflichtgesetz § 2, Abs. 2 (Österreich):
„Hat ein Dienstnehmer bei Erbringung seiner Dienstleistungen dem Dienstgeber durch ein Versehen einen Schaden zugefügt, so kann das Gericht aus Gründen der Billigkeit den Ersatz mäßigen oder, sofern der Schaden durch einen minderen Grad des Versehens zugefügt worden ist, auch ganz erlassen."
Das Gesetz nennt eine Liste von Umständen, auf die das Gericht „bei der Entscheidung über die Ersatzpflicht Bedacht zu nehmen" hat:
- „vor allem auf das Ausmaß des Verschuldens des Dienstnehmers" (geringe, grobe Fahrlässigkeit, …),
- auf das Ausmaß der mit der ausgeübten Tätigkeit verbundenen Verantwortung (Hilfskraft, Konstrukteur, Konstruktionsleiter, …),
- auf den Grad der Ausbildung des Dienstnehmers,
- auf die Bedingungen, unter denen die Dienstleistung zu erbringen war und
- ob mit der vom Dienstnehmer erbrachten Dienstleistung erfahrungsgemäß die nur schwer vermeidbare Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens verbunden ist
Schweiz: Innerbetrieblicher Freistellungsanspruch
Darunter versteht man die in der Schweizer Rechtssprechung entwickelte Begrenzung der Haftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber in Abhängigkeit vom Ausmass der Fahrlässigkeit. Diese Grundsätze gelten automatisch, auch wenn sie nicht vereinbart werden und können (nur) zugunsten des Arbeitnehmers geändert werden.
In der Schweiz haftet der Arbeitnehmer bei normaler oder auch mittlerer Fahrlässigkeit, die, wie in Deutschland oder Österreich im Einzelfall zu bestimmen ist.
Selbst bei grober Fahrlässigkeit (Zur Definition BGE 111 II 90, danach handelt jede Person grob fahrlässig, die elementarste Sorgfaltsgebote ausser Acht lässt, die jedem vernünftigen Menschen in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen hätten einleuchten müssen) ist in der Schweiz noch eine – wenn auch sehr eingeschränkte – Haftungsbegrenzung nach Billigkeitskriterien möglich.
Es geht letztlich um eine „Abwägung der Gesamtumstände“, wobei es um einen objektiv wie subjektiv zu beurteilenden Sorgfaltsmassstab geht. Dabei richtet sich das Mass der Sorgfalt, für die der Arbeitnehmer einzustehen hat, nach dem einzelnen Arbeitsverhältnis, unter Berücksichtigung des Berufsrisikos, des Bildungsgrades oder der Fachkenntnisse, die für die auszuführende Arbeit erforderlich sind, sowie der Fähigkeiten und Eigenschaften des Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber gekannt hat oder hätte kennen sollen.
Unbestreitbar sind diese Grundsätze sowohl in Österreich als auch in Deutschland und der Schweiz sehr ungenau, aber sie sind – das ist das Ziel des Gesetzgebers – sehr gerecht. Wie so häufig enthält das Gesetz keine Detailregelung. Dies ermöglicht eine „Abwägung der Gesamtumstände“ im konkreten Einzelfall.
Grobe Fahrlässigkeit
Hier gilt der Grundsatz: Wer Nichts tut, dem kann leichter (grobe) Fahrlässigkeit vorgeworfen werden als jemandem, der Etwas tut, dabei aber einen Fehler macht. Grobe Fahrlässigkeit ist daher schwer vorstellbar, wenn man überhaupt etwas getan hat, also eine (wenn auch fehlerhafte) Risikobeurteilung durchgeführt hat. Wer zumindest Etwas tut, wird schwerer eine besonders „krasse“ bzw. „unentschuldbare“ Pflichtwidrigkeit vorgeworfen werden können, denn dann muss man diese Wertung nicht einem Nichts entgegenhalten, sondern einer zuvor – seriöse – getroffenen technischen Entscheidung. Um dem Konstrukteur einen Fehler vorwerfen zu können, müsste belegt werden, dass es eine technisch bessere Lösung gegeben hätte als die, die er gewählt hat.
Die Grundsätze zur Arbeitnehmer-Haftungsbeschränkung sind vertraglich nicht zu Lasten des Arbeitnehmers veränderbar. Er kann aber Verbesserungen mit seinem Arbeitgeber vereinbaren – etwa die Begrenzung der Haftung bei grober Fahrlässigkeit auf drei Monatsgehälter. Dies kommt in der Praxis auch tatsächlich vor, insbesondere wenn der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer seriös abstimmen möchte, wo die Haftungsgrenzen und damit die Haftungsrisiken liegen sollen. Dies wirkt sich letztlich auch auf die Frage aus, wer im Unternehmen für welche organisatorischen Strukturen sorgt, um Schadensfälle zu vermeiden.
Es sei hier auch noch erwähnt, dass Schadenersatzforderungen gegen Mitarbeiter insbesondere dann in Frage kommen, wenn persönliche Verhältnisse getrübt sind. In der Praxis ist das arbeitsrechtliche Haftungsrisiko aber eher gering.
2. Zivilrechtliche Haftung gegenüber Dritten
Die zivilrechtliche Haftung – etwa eines Unternehmens (Bild 1, 2a) oder eines seiner Mitarbeiter (2b) – setzt voraus, dass erstens eine Pflicht verletzt wurde (z.B. Konstruktions- oder Herstellungspflicht) und dass dies zweitens fahrlässig geschah, also durch „Ausserachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" (Schweiz: „Sorgfaltsgebote“: S.o. Fn. 1) (§ 276 BGB in Deutschland) bzw. „aus schuldbarer Unwissenheit, oder aus Mangel der gehörigen Aufmerksamkeit, oder des gehörigen Fleisses“ (§ 1294 ABGB in Österreich)
Weil die Erfolgschance viel grösser ist, wird ein Geschädigter aus zwei Gründen primär den Hersteller – also das Unternehmen – und nicht einen Mitarbeiter auf Schadensersatz in Anspruch nehmen:
- Erstens haftet der Hersteller – also das Unternehmen – bei Anwendbarkeit des Produkthaftungsgesetzes (Deutschland: ProdHaftG; Österreich PHG; Schweiz: PrHG.) auch verschuldensunabhängig und
- zweitens muss der Arbeitgeber – also das Unternehmen – auch sonst in weitem Umfang die Verantwortung für Fehler von Mitarbeitern „übernehmen“(Schweiz: vgl. Art. 321e Abs. 2 OR).
Aber seit 1975 urteilt der Bundesgerichtshof (BGH), dass Geschädigte nicht nur vom Hersteller Schadensersatz verlangen können, sondern von jedem Mitarbeiter, der eine „herausgehobene und verantwortliche Stellung innehat“ (BGH, Urteil v. 3.6.1975 – VI ZR 192/73) . Wenn man einen Mitarbeiter verklagt,
- muss man erstens dessen Führungsposition nachweisen,
- ist man zweitens nur erfolgreich, wenn gerade dieser Mitarbeiter seine Pflicht verletzt hat und
- es muss drittens gerade dieser Mitarbeiter schuldhaft = fahrlässig gehandelt haben, denn eine verschuldensunabhängige Haftung gilt immer nur für den Hersteller, also das Unternehmen, jedoch nicht für dessen Mitarbeiter – auch nicht für den Geschäftsführer!
In der Schweiz kann der Geschädigte nicht nur vom Hersteller Schadensersatz verlangen (z.B. nach OR 55), sondern von jedem Mitarbeiter, wenn die Voraussetzungen der Arbeitgeberhaftung gegenüber Dritten nicht vorliegen.
In allen drei Ländern können Mitarbeiter insbesondere verklagt werden
- wenn das Unternehmen insolvent ist und
- wenn der Geschädigte – aus welchen Gründen auch immer – eine Sanktion gerade gegen einen Mitarbeiter herbeiführen will.
Wenn nun ein Arbeitnehmer verklagt wird, hat er – weil er ja nicht privat, sondern im betrieblichen Interesse gehandelt hat – einen sog. Freistellungsanspruch nach den Grundsätzen über den innerbetrieblichen Schadensausgleich (siehe 1.) gegen seinen Arbeitgeber.
Für einen Arbeitnehmer besteht also Schutz bzw. Absicherung auf mehreren Ebenen
- zunächst natürlich dadurch, dass er keine Rechtspflicht verletzt bzw. zumindest eine Pflichtverletzung für ihn nicht erkennbar war, er also nicht fahrlässig handelt,
- faktisch weil man eher das Unternehmen verklagt,
- rechtlich weil die Klage gegen einen Mitarbeiter viel schwieriger ist und
- „versicherungsmässig“ durch den innerbetrieblichen Schadensausgleich (Schweiz: „Freistellungsanspruch"), den er im Arbeitsvertrag zu seinen Gunsten verbessern kann.
Wegen dieser verschiedenen Schutzmechanismen „dürfte einem Mitarbeiter letztlich nur in äusserst seltenen Fällen ernsthaft Gefahr drohen, für Schäden, die er im Rahmen seiner Berufstätigkeit bei Dritten verursacht hat, aus eigener Tasche aufkommen zu müssen" (So Richter a.D. Peter Anhalt, Die Haftung für fehlerhafte Produkte sowie für hierdurch verursachte (Folge-)Schäden, 2003, 66.4.3, S. 220), auszuschliessen ist das aber nicht, wie Beispiele aus der Praxis belegen:
Fallbeispiel 1 - Explosion einer Flüssiggasanlage 1:
Der Hersteller errichtete 1989 eine Flüssiggasanlage. Im Juni 1990 sah ein Ministeriums-Runderlass vor, dass „eine redundante, möglichst diversitäre Sicherheitseinrichtung vorhanden sein muss“. Im November 1990 rüstete der Technische Leiter des Herstellers die Anlage um. Dabei wies er den Betreiber nicht auf die neuen sicherheitstechnischen Anforderungen hin, womöglich, weil er sie nicht kannte oder weil ihm nicht bewusst war, dass sie Auswirkungen auf die nachträgliche Umrüstung hatten. Der Betriebsleiter wurde bei einer Explosion schwer verletzt und ein Sachverständiger stellte fest, dass der Unfall mit der zweiten Sicherheitsstufe vermieden worden wäre. Der Betriebsleiter verklagte den Technischen Leiter erfolgreich auf Schmerzensgeld.
Das Gericht entschied:
- Erstens gibt es keinen Bestandsschutz, weil auch eine Nachrüstung bestehender Anlagen erforderlich sei.
- Zweitens hat der Hersteller zwar keine Betreiberpflichten, aber der Technischen Leiter „hätte insbesondere anlässlich der Umrüstung im November 1990 auf das neue Erfordernis hinweisen und eine solche Sicherung einbauen müssen", denn er „war derjenige, der die erforderliche Sachkunde besass, und er hätte beraten müssen"
- Und drittens haftet der technische Leiter nach den Grundsätzen über die persönliche Produkthaftung, weil er als Projektleiter in „herausgehobener und verantwortlicher Stellung“ war.
1Urteil des OLG Düsseldorf aus Oktober 1998. Siehe die Fallbesprechung „Die Explosion der Flüssiggasanlage Schadensersatzhaftung des Technikleiters für Konstruktionsfehler, "Freispruch" des ausführenden Hersteller-Mitarbeiters und Mitverschulden des verletzten Betreiber-Mitarbeiters“ von Cordula und Thomas Wilrich, in: Zeitschrift für Betriebliche Prävention und Unfallversicherung (BPUVZ) Heft 2/2015.
Fallbeispiel 2 - Explosion einer Trocknungsanlage 2:
Der Hersteller errichtet eine Trocknungsanlage und ergänzt sie später durch einen Wärmeaustauscher. Ein Mitarbeiter nimmt die Anlage vor Ort in Betrieb. Wegen einer falschen Klappenstellung explodiert die Anlage. Der Sachversicherer nimmt erfolgreich den (insolventen) Hersteller und den Mitarbeiter auf Erstattung des Schadens in Höhe von etwas mehr als € 1.000.000,- in Anspruch. Der Sachverständige sagte, „die Situation hätten in Deutschland nur 10 – 20 besonders Fachkundige richtig einschätzen können“. Das Gericht ging zwar davon aus, dass der Mitarbeiter die „tragischen Ausmasse und Auswirkungen nicht erkennen konnte“, dass „ihn das aber nicht von der Verschuldenshaftung entbindet".
2Urteil des OLG Celle aus Mai 2004.
3. Strafrechtliche Produkthaftung (Schweiz: Produktehaftung)
Das dritte Haftungsrisiko sind strafrechtliche Sanktionen. Hierzu heisst es: „Strafbar sein können nicht nur die Mitglieder der Geschäftsleitung, sondern jeder Mitarbeiter, der am Entwicklungs-, Herstellungs- und Vermarktungsprozess beteiligt ist“ – und: „Wer in einem Mitarbeiterteam einer Entscheidung zustimmt, die einen Produktfehler verursacht und die später zu Rechtsgutsverletzungen führt, kann dafür strafrechtlich verantwortlich sein“(Eisenberg/Gildeggen/Reuter/Willburger, Produkthaftung, 2008, S. 149 und 152).
Das ist zwar richtig – diese Aussagen sind aber auch sehr pauschal. Denn Haftung hat immer zahlreiche Voraussetzungen, die auch bewiesen werden müssen, insbesondere wieder
- die Pflichtverletzung,
- die Fahrlässigkeit, also Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit und
- die Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden, also dass gerade die Pflichtverletzung des Konstrukteurs den Unfall verursacht hat.
Einerseits muss zwar der Staat dem Konstrukteur all das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachweisen – sonst gilt: „Im Zweifel für den Angeklagten“ („in dubio pro reo“). Andererseits ist im Strafrecht die Situation etwas strenger als im (unter 2. dargestellten) zivilrechtlichen Schadensersatzrecht:
- Erstens gibt es keinen „innerbetrieblichen Schadensausgleich“ (Schweiz: Freistellungsanspruch) – ein Verurteilter muss die Strafe immer selbst tragen. Die freiwillige Übernahme der Strafe eines Mitarbeiters durch das Unternehmen ist nicht immer einfach möglich, weil Geschäftsführer nicht Geld des Unternehmens verschenken können.
- Zweitens gilt weitgehend das Individualstrafrecht, das heisst es werden in Zusammenhang mit Produktehaftungssachverhalten (in Deutschland nur und in Österreich auch noch (Trotz des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes (VbVG)) Mitarbeiter und nicht Unternehmen verurteilt. Die Schweiz kennt zwar nach Art. 102 StGB auch die Strafbarkeit von Unternehmen, die Tatbestände beziehen sich allerdings weitgehend auf Sachverhalte wie Korruption, Bestechung, organisierte Kriminalität usw.
Da es keine spezielle Strafnorm zur Produkthaftung gibt, geht es fast immer um fahrlässige Körperverletzung oder fahrlässige Tötung. Zu unterscheiden sind zwei Fallkonstellationen:
- das Inverkehrbringen fehlerhafter – unsicherer – Produkte und
- der Nichtrückruf oder die Nichtnachrüstung fehlerhafter – unsicherer – Produkte.
Der Nichtrückruf oder die Nichtnachrüstung von Produkten, deren Gefährlichkeit man kennt oder erkennen müsste, kann sehr riskant sein – z.B. im bekannten Lederspray-Urteil des BGH wurde wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung verurteilt (BGH, Urteil v. 6.7.1990 – Az. 2 StR 549/89). Aber das Inverkehrbringen unsicherer Produkte ist tragischer, weil es um Konstruktions- oder Herstellungsfehler geht, die zunächst nicht erkannt worden sind (sonst wären sie ja vermieden worden), aber später – im Schadensfall – kommt der Vorwurf, fahrlässig gehandelt zu haben, eben weil die Fehler nicht erkannt worden sind. Dieser Vorwurf trifft den Konstrukteur tief in seiner Ingenieurehre.
Es gibt zwei Schlüsselfragen:
- Pflichtverletzung: Hat der Konstrukteur seine Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionspflicht verletzt?
- Verschulden: War die Pflichtverletzung fahrlässig, d.h. hat ein Unternehmensmitarbeiter „die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (Schweiz: ihm speziell obliegende Sorgfaltspflichten (Normenüberprüfung, Konformitätsnachweis, Gefahrenermittlung, Beachtung vom Stand von Wissenschaft und Technik und dergleichen)) ausser Acht gelassen" (Deutschland: § 276 BGB) bzw. den Schaden verursacht „aus schuldbarer Unwissenheit, oder aus Mangel der gehörigen Aufmerksamkeit, oder des gehörigen Fleisses" (Österreich: § 1294 ABGB)?
Ob eine Pflicht verletzt worden ist, ist häufig nur durch Sachverständige zu ermitteln. Hier geht es natürlich insbesondere darum, was der massgebliche Sicherheitsstandard ist (anerkannte Regeln der Technik oder Stand der Technik) und inwieweit Hilfsmittel – etwa technische Normen – diesen Standard zutreffend widerspiegeln. Als nach 52 Verhandlungstagen der Prozess nach dem ICE-Unfall bei Eschede auch gegen Mitarbeiter des Radherstellers eingestellt wurde, sagte der Richter: „Die bisherigen Ausführungen aller Sachverständigen haben eindrucksvoll gezeigt, dass die Bewertung der ausreichenden Sicherheit des Radreifens keinen einfachen Lösungen zugänglich ist. Je nach Ansatz sind eine Vielzahl von Einflussgrössen zu berücksichtigen, die oftmals in komplizierten Wechselwirkungen zueinander stehen“. Ebenso schwierig wie die komplexen technischen Fragen ist dann aber die Entscheidung, ob man einem Konstrukteur den Vorwurf der Fahrlässigkeit machen kann, dass er also unsorgfältig gehandelt hat. Im Urteil Monza-Steel, in dem es um Autoreifen ging, sagt das LG München, bei der Fahrlässigkeit muss sich ein Fachmann nicht an Durchschnittsanforderungen messen lassen, sondern am „Optimum, was in der konkreten Lebenssituation geleistet werden kann" (LG München, Urteil v. 21.4.1978 – IV Kls 58 Js 5534/76) . Wieder der Richter zu Eschede: Die Entscheidung zur individuellen Zurechnung einer Pflichtverletzung kann „allein auf der Basis von Fakten, nicht von Emotionen getroffen werden, so verständlich diese auch sein mögen. Dies bedingt hier im besonderen Masse eine Beschäftigung mit technischen Fragestellungen“. Auch bei der Frage der Schuld = Fahrlässigkeit geht es also zunächst um Technik – also die Wertung, ob die Fehlerhaftigkeit des Produkts erkennbar war. Denn Fahrlässigkeit setzt vor allem erst einmal Erkennbarkeit voraus. Sodann kommen dann aber – unbestreitbar – Wertungen der Gerechtigkeit ins Spiel, die nicht immer kalkulierbar sind.
Welcher Mitarbeiter bestraft werden kann, ist nicht abstrakt festzulegen, sondern hängt konkret von den Einflussmöglichkeiten im jeweiligen Projekt ab.
Deutschland: Im Fall „Klettergerüst im Kindergarten“ des AG-Ahaus (Dazu BGer 6S.717/2002 vom 09.07.2002) ist auch der „einfache" Mitarbeiter vor Ort verurteilt worden: Die Abstände zwischen Kletterhilfen und Decke in einem Kindergarten waren – DIN-Norm widrig – zu gering, so dass ein Kind sich verklemmte und erstickte. Neben dem Geschäftsführer des Auftragnehmers sind der Projektleiter und der vor Ort tätige Tischler mit dem Vorwurf verurteilt worden, sie „übersahen auch den zu geringen Abstand und die Nichteinhaltung der DIN-Vorschrift. Auch sie wären bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt in der Lage gewesen, diesen Mangel zu erkennen, zumal sie vom Geschäftsführer des Auftragnehmers mehrmals auf die massgeblichen DIN-Vorschriften hingewiesen worden waren".
Schweiz: Auch in der Schweiz wurde im Fall „Riederalp-Garaventa“ (Kreisgericht Oberwallis; Bundesgericht (Dazu BGer 6S.717/2002 vom 09.07.2002)) der „einfache“ Mitarbeiter vor Ort verurteilt: Bei der Konstruktion der entsprechenden Gondel zur Personenbeförderung wurden der bei der Fa. Garaventa mit der Projektierung zuständige Ingenieur und sein Vorgesetzter verurteilt, weil sie einerseits falsche Berechnungen (Abschreiben von Konstruktions-Vorlagen anderer Bahnen) zugrunde legten und andererseits diese nicht nochmals durch den Vorgesetzten kontrolliert wurden. Dabei kam es nach Inbetriebnahme zu einem schweren Seilbahnunglück, bei dem ein Passagier verstarb und mehrere Passagiere leicht bis schwer verletzt wurden.
Im Bereich des Strafrechts gibt es folgende Schutzmöglichkeiten, aber auch Schutzlücken:
- Es gibt keine Haftungsbegrenzungsmöglichkeiten im Kaufvertrag, denn es geht um den staatlichen Strafanspruch, der vertraglich nicht beeinflusst werden kann.
- Es kann keine Vorabvereinbarungen des Konstrukteurs mit dem Arbeitgeber geben, dass er die Strafe bezahlt.
- Man kann in geringem Umfang durch – projektbezogene – Vertragsgestaltung die Haftung steuern, denn beim erforderlichen – und auch strafrechtlich relevanten – Sicherheitsmassstab kommt es auch auf die „ berechtigten Sicherheitserwartungen" (So z.B. Art. 4 PrHG; § 3 des deutschen und § 5 des österreichischen Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG bzw. PHG) für das Zivilrecht) an, die nicht nur objektiv nach dem Stand der Technik zu bestimmen sind, sondern auch – zumindest ein Stück weit – subjektiv durch Vereinbarungen (z.B. ist von teureren Produkten ein höheres Mass an Sicherheit erwartbar als von Billigprodukten).
- Man kann sich nicht durch Versicherung gegen die Strafe selbst schützen.
- Man könnte sich durch – teilweise nicht preiswerte – (Rechtsschutz-)Versicherung gegen die Prozesskosten des Strafverfahrens schützen.
- Man kann sich natürlich am besten schützen durch sorgfältiges Ermitteln des massgeblichen Sicherheitsmassstabes und damit den Einsatz der „gehörigen Aufmerksamkeit“ und des „gehörigen Fleisses“.
- Man könnte zumindest die Strafe mildern durch Wiedergutmachung des Schadens – indem man dem Verletzten Schmerzensgeld zahlt, denn das wird in der Strafzumessung berücksichtigt.
Was bei der Einschätzung des strafrechtlichen Risikos meist unberücksichtigt bleibt, sind die durch die Anklage selbst vorgeworfenen Tatbestände, für die Verletzung oder sogar den Tod eines oder mehrerer Menschen verantwortlich zu sein. Die damit einhergehenden Selbstvorwürfe und insbesondere die durch Gerichtsprozesse verursachten Stresssituationen wiegen meist schwerer als die häufig vergleichsweise geringe Geldstrafe. Juristen sagen: „The process is the punishment“.
Vorsicht ist geboten, die in Presseberichten verhältnismässig geringen Geldstrafen (Im Fall Riederalp-Garaventa wurden der leitende Ingenieur zu einer Busse von CHF 1000,-, 10 Tage bedingter Haft und sein Mitarbeiter zu einer Busse von CHF 1000,- verurteilt) zum Anlass zu nehmen, das Haftungsrisiko gering zu schätzen. Eine strafrechtliche Verurteilung führt dazu, dass in vielen Fällen im Zivilprozess die Schuldfrage „vorprogrammiert“ ist – da sie ja bereits im Strafprozess richterlich festgestellt wurde. Im Zivilprozess geht es dann um die finanzielle Abgeltung des tatsächlich eingetretenen Schadens, der weit höher sein kann aber nicht mehr in Presseberichten veröffentlicht wird.
Zusammenhang mit der Maschinenrichtlinie
Wie oben dargestellt ist es wichtig, den massgeblichen Sicherheitsmassstab sorgfältig zu ermitteln!
Vielen Konstrukteuren ist nicht bekannt, dass die gesetzlich zu erreichenden Schutzziele für Maschinen und die Methodik, wie diese Ziele während der Konstruktion zu erfüllen sind, im Wesentlichen in Anhang I der Maschinenrichtlinie definiert sind. In Anhang VII ist geregelt, dass die technischen Unterlagen unter anderem „eine Beschreibung der zur Abwendung ermittelter Gefährdungen oder zur Risikominderung ergriffenen Schutzmassnahmen“ enthalten müssen.
In der Regel sind an Entwicklungsprozessen von Maschinen oder Anlagen mehrere Personen beteiligt. Im Rahmen der täglichen Konstruktionstätigkeiten wird entschieden, wie bestimmte Funktionen konkret realisiert werden. Konstrukteure legen fest, an welchen Stellen Bohrungen erfolgen, mit welchen Schrauben Bauteile befestigt werden, welche Kugellager, Schläuche, Motoren oder sonstige Bauelemente zum Einsatz kommen und vieles mehr. Es liegt auf der Hand, dass es zu Konstruktionsfehlern kommen kann, wenn nicht genau zu den Zeitpunkten, an denen von den Konstrukteuren die funktionalen Aspekte festgelegt werden, auch bereits die sicherheitstechnischen Besonderheiten berücksichtigt werden.
Daher verpflichtet die Maschinenrichtlinie zur Integration der sicherheitstechnischen Überlegungen in die Konstruktionsprozesse.
Der Grund dafür, dass Konstrukteure seit mehr als zwanzig Jahren das für sie massgeblich geltende Gesetz für die Entwicklung ausreichend sicherer Maschinen in erschreckend hohem Masse ignorieren, liegt einerseits am all gegenwärtigen Zeit- und Kostendruck – die im Haftungsstreit kontraproduktive Argumentationen wären – und andererseits an der vermeintlichen Komplexität der gesetzlichen Anforderung. In einem Satz ausgedrückt fordert die Maschinenrichtlinie aber lediglich, dass diejenigen Personen, die eine Maschine entwickeln und bauen, neben der Funktionalität auch dafür Sorge tragen sollen, dass die im Zusammenhang mit der Maschine auftretenden Restrisiken auf ein vertretbares Mindestmass reduziert werden.
Was häufig nicht bekannt ist: Durch qualitativ durchgeführte Risikobeurteilung lassen sich sowohl die Engineeringkosten als auch die Equipmentkosten senken und zwar ab dem ersten Projekt.
Verfasst am: 27.04.2015
Autoren
Prof. Dr. Thomas Wilrich
Tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkthaftung, Arbeitsschutz und Warenvertrieb einschließlich der entsprechenden Betriebsorganisation, Vertragsgestaltung, Schadensersatz- und Führungskräftehaftung, Versicherungsfragen und Strafverteidigung. Er ist an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule München zuständig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik- und Unternehmensorganisationsrecht sowie „Recht für Ingenieure“.
E-Mail: info@rechtsanwalt-wilrich.de | www.rechtsanwalt-wilrich.de
Ing. Helmut Frick
Seit 1994 CE-Beratung im Maschinen- und Anlagenbau mit Schwerpunkt CE-Organisation und Normenmanagement. Geschäftsführer der IBF Holding GmbH.
E-Mail: helmut.frick@ibf-solutions.com | www.ibf-solutions.com
Hans-Joachim Hess
Seniorpartner der Kanzlei Hess & Partner, Küsnacht/Schweiz, ist spezialisiert auf die Bereiche Produktesicherheit, Produktehaftung, Krisenmanagement, Produkt-Compliance, Vertragsgestaltung und Verwaltungsrecht; Herausgeber der Gesetzeskommentare zum Produktehaftpflicht- und Produktesicherheitsgesetz
E-Mail: hess@hp-legal.ch | www.hp-legal.ch
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